Die Qual der Wahl

Mitte November 2024 ist es wieder soweit: Wir Wedeler müssen jemanden bekreuzigen, der uns Bürger meistert. Aus vier Kandidaten einen aussuchen, dem wir zutrauen, die Aufgaben zu bewältigen, die in einer hoch verschuldeten Stadt objektiv erforderlich sind, und dabei auch die subjektiv für richtig gehaltenen inhaltlichen Duftmarken zu setzen. Wenn ich anfangs gehofft hatte, dass es angesichts des abschreckenden Beispiels unseres letzten, nach zwei Jahren abgewählten Hauptes der Verwaltung doch so schwer nicht sein könne, ein bis zwei vernünftige Bewerber für dieses Amt präsentiert zu bekommen, ist mein Optimismus sechs Wochen vor dem ersten Wahlgang leider ziemlich verflogen. Denn tatsächlich stehen zwei parteizu­gehörige Frauen und zwei parteilose Männer (über Diverse weiß man nichts) auf dem Stimmzettel, von denen keiner und keine das Profil aufweist, das der Posten erfordert – insbesondere fehlt die Verwaltungserfahrung.
Das sieht mein grüner Ortsverband übrigens erfreulicherweise genauso, wenngleich dessen extrem hohe Anforderungen auch dazu dienten, einem aus den eigenen Reihen stammenden fünften Bewerber die Unterstützung zu verweigern, ohne ihm allzu weh zu tun.

Was alle vier eint, sind Heilsversprechen wie „Bürgernähe” und „Transparenz” – hohle Phrasen, ohne die es heutzutage anscheinend nicht mehr geht. Alle vier wollen den Wirt­schaftsstandort stärken und so die Voraussetzungen für sprudelnde Gewerbe­steuer­einnah­men verbessern. Alle vier wollen Bildung, Digitalisierung und das gesellschaftliche Miteinander voran­bringen. Alle vier wollen möglichst sämtliche durchaus üppigen Angebote der Stadt erhalten und trotzdem den Haushalt konsolidieren.
Toll. Lauter schöne Wunschzettel in der Vorweihnachtszeit. „Ihr Kinderlein kommet (und wählet – mich)”. Dumm bloß, dass keine(r) von ihnen sagt, wie all das konkret bewerkstelligt werden könnte.

Da bleibt für meine Wahlentscheidung die Frage übrig, wem ich zutraue, der am wenigsten ungeeignete Bürgermeister zu werden. Vor Kurzem hätte meine Antwort noch Julia Fisauli-Aalto gelautet. Jawohl, ein Kreuz für die CDU – ich! Und das nicht nur, weil Rosa Pink alias Claudia Wittburg selbst manchem SPD’ler für dieses Amt als ganz ungeeignet gilt, weil Timo Steyer „irgendwie” schon beinahe Chef einer vier­stel­ligen Mitarbeiterzahl war und weil Andreas Kuhn mit seinen Tätig­keiten in Indu­strie und Gastronomie offenbar noch nicht ausgelastet ist (immerhin hat er einen Hund). Sondern weil sie im Stadtrat mit allen anderen Fraktionen gut kooperiert hat und weil seit Ostern unter ihr als Interimsleiterin im Rathaus wieder Arbeitsfrieden eingekehrt ist. Ein kleines Plus gibt’s auch für das Wahlplakat-Wortspiel JuliJA!, wenngleich das von einer Hamburger FDP-KatJa geklaut ist.

Auf den positiven Eindruck haben sich aber inzwischen Schatten des Zweifels gelegt. Dass JFA kürzlich nicht imstande war, eine seit sechs Tagen vorliegende Einwohner­frage zu beant­wor­ten, ist eher eine Randnotiz. Insbe­son­dere ihre Karriere verläuft mir ein bisschen arg steil: Im Mai 2023, aus dem kommunalpo­liti­schen Nichts kommend, erstmals in den Rat gewählt, wird sie sofort Vorsitzende der stärksten Fraktion und zudem 2. stellvertretende Bürgermeisterin – was eigentlich nicht viel mehr als ein Ehrentitel mit kleiner Aufwandszulage, seit der Kaser-Abwahl für sie aber eine Beschäftigung ist, die sie ziemlich in Beschlag nimmt und ihr jetzt in den Medien zu einem Amtsbonus ver­hilft. Daran hat sie nicht nur mit einer öffentlichen per­sön­lichen Erklärung über und gegen den Amtsvor­gänger aktiv mitgewirkt. Wie ich im Juni schon bloggte: Hiesige Verschwö­rungsmunkler könnten ihr vorhalten, sie habe Kasers Abwahl betrie­ben, damit sie selbst an die Fleischtöpfe kommt.
Ich will ihr nicht unterstellen, dass sie diesen Sprung nach oben von Anfang an geplant hat. Aber es müffelt etwas. Und manche Frage stellt sich mir, bevor ich demnächst meine (oder keine) Stimme abgebe.

NB: Immerhin hat die gestrige öffentliche Veranstaltung („Wähler fühlen Kandidaten auf den Zahn”) etwas mehr Licht in den Nebel gebracht. Zwei Bewerber können sich als Gewinner fühlen: Fisauli spielte ihre Rathauserfahrung souverän aus, während der bisher eher für einen Selbstüberschätzer gehaltene Kuhn durch Klarheit und Ernst­haf­tigkeit nicht nur bei mir deutlich zu punkten vermochte.
Eine zweite Podiumsdiskussion und öffentliche Erklärungen kurz vor der Wahl schaffen mehr Klarheit. Wittburgs hübscher Satz, dass die Haushaltsprobleme von heute die Entscheidungen von gestern waren, unterschlägt, dass sie an der gestrigen Ausgabenpolitik selbst aktiv beteiligt war und lässt auch nicht erkennen, dass sie davon zukünftig ablassen möchte; ihre „Liebe zu Wedel” verheißt diesbezüglich nichts Gutes, was auch durch CO2-neutrale Wahlplakate kaum kompensiert wird. Steyer schmeißt zwar nur so mit quantitativen Schätzungen über konkrete Einsparmög­lich­keiten um sich, aber er sieht das Heil nahezu ausschließlich darin, externe Förder­mittel abzugreifen. Wobei er übersieht, dass z.B. Bund und Land zur Konsolidierung der eigenen Haushalte genau diese Zuschüsse immer weiter eindampfen; abgesehen davon erfordert jede Förderung städtische Eigenmittel. Schade, dass auch Kuhn und Fisauli sich nicht getraut haben, endlich mal zu erklären, welche konkreten Zumut­ung­en das ziemlich pleite Wedel von ihm/ihr zu erwarten hat.

Wer am Ende die Nase vorn hat? Frag’ mich nicht; ich hatte noch nie mehr als vier Richtige im Lotto. Immerhin wette ich 20 € darauf, dass es zur Stichwahl Fisauli vs. Steyer kommt.