Der Problembär ist weg, etliche Probleme bleiben

Wedels Bürger haben ihren „Meister” Gernot Kaser parallel zur Europawahl abgewählt. Mit satter 72%-Mehrheit bei hoher Beteiligung. Das kurzfristig offensichtlichste Pro­blem der Stadt ist damit gelöst (siehe den Beitrag Kaser Grande etwas weiter unten). Im ersten Halbjahr 2024 haben die politischen Gremien sich nahezu aus­schließ­lich mit diesem einen Thema befasst. Das ist erledigt; und was kommt jetzt?

Zunächst vor allem die Suche nach einer neuen Bürgermeisterin, die spätestens am 20. Dezem­ber gefunden sein muss, was das zweite Halbjahr maßgeblich dominieren wird. Diesmal sind die politischen Strömungen in der verdammten Pflicht, auch selbst geeignete Interessentinnen – aus ihren Reihen oder ihnen nahestehende – zur Kandi­datur zu bewegen. Bei der Kaser-Wahl 2022 standen ausschließlich Parteilose auf dem Zettel. 2024 müssen Menschen antreten, die das sensible und nicht einfache Mitein­ander von Politik und Verwaltung aus dem FF kennen. Und die unbedingt eine zweite Bedingung erfüllen: Über Praxis in der (möglichst öffentlichen) Verwaltung und der Führung einer dreistelligen Beschäftigtenzahl zu verfügen. Wenn dann womöglich noch vertiefte stadtentwicklungs- oder haushalterische Kenntnisse, gar ein Funken Kreativität dazukommen, wäre das mitnichten von Nachteil. Damit scheiden die beiden derzeitigen Interims-Bürgermeister-Stellvertreter aus dem Kreis der Geeig­neten aus – zumal ich mir gar nicht ausdenken möchte, was die hiesigen Verschwö­rungsmunkler ihnen unterstellen würden: „Die haben Kasers Abwahl aktiv betrie­ben, damit sie selbst an die Fleischtöpfe kommen”.
Anmerkung des Verfassers: Beim Redigieren dieses Absatzes wird mir klar, dass man dies für meine Eigenkandidatur halten könnte. Aber schon vor zwei Jahren wollte ich mir sowas nicht mehr antun. Dabei bleibt’s. Versprochen!

Nächstes Problem: Alle sechs politischen Gruppierungen im Stadtrat waren sich bezüglich der Abwahl ungewöhnlich einig – Ganzgroße Koalition von der CDU bis zu den Linken. Das grenzte manchmal schon fast an Geschmuse und andere Pein­lich­keiten. Wieviel davon wird sich über den heutigen Tag hinaus erhalten? Bleibt wenig­stens etwas stärker als in der Vergangenheit der Wille zu konsensualer Ergebnis­fin­dung bestehen, oder setzen sich die Hardlinerinnen wieder durch, die noch den letzten ungenutzten Spielplatz erhalten möchten, weil die 49 anderen in der Stadt angeb­lich nicht ausreichen – koste es, was es wolle – und zweieinhalb Mütter darin einen Verstoß gegen sämtliche Jungmenschenrechte sehen? Ich übertreibe kei­nes­wegs: Manchen Ratsmitgliedern aus allen Fraktionen war das regelmäßige Vertei­len von kleinen und großen Wohltaten jederzeit wichtiger als ein Blick auf den Haus­halt und die 100-Millionen-Euro-Verschuldung Wedels. Wozu jetzt auch noch rund 320.000 Euro kommen, die der abgewählte Bürgermeister bis zum April 2028 für Nichts­tun kassieren wird.
Sparen tut Not, aber auch ziemlich weh, sofern es die eigene Klientel betrifft. Über diesen Schatten müssen die Politikerinnen springen; haben sie in ausreichender Zahl die Größe dazu?

Und nicht zu vergessen: Wedel hat neben den Finanzierungs- auch ein paar kleine Sachfragen, die dringendst einer Klärung bedürfen. Sowas wie die Ausweisung und Erschließung neuer Bauflächen (Wedel Nord liegt noch 15 Monate auf Eis), um den großen Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu lindern, die bisher vergebliche Suche nach gewerbesteuerzahlenden Unter­neh­men, die sich im eigens dafür geschaffenen Business Park ansiedeln wollen, die Frage, ob und womit der 30 Millionen Euro teure Neubau des Schulauer Hafens endlich sinnvoll genutzt wird. Das ist nur ein unvoll­ständiger Ausschnitt von Problemen, die es anzugehen gilt. Mit der Ein­rich­tung von neuen Fahrradstraßen alleine darf es nicht getan sein.

Ganz anders gelagerte Fragen kommen hinzu, beispielsweise, ob die Politik auch in unse­rer Stadt der Illusion erlegen ist, was für ein weltoffenes, friedliches, demo­kra­tisch gestähltes Völkchen wir doch seien – mit unserem Arbeitskreis gegen Rechts, der Begrüßungskultur, Stolper­steinen, einer Gedenk­pla­ket­te am ehemaligen KZ-Außen­lager, dem Fehlen einer AfD-Ortsgruppe … Aber gestern haben auch in Wedel gut 1.400 Wählerinnen ihr Kreuz­chen bei den Nazis gesetzt, und die erschreck­ende Feststellung, dass sogar 17% der 16- bis 24-Jährigen dies taten, erlaubt es nicht länger, sich auf wohlfeilen Parolen und vertrockneten Lorbeeren auszuruhen.