Lockdown der lokalen Legislative?

Während auf Länder-, Bundes- und europäischer Ebene die Mitglieder der Parlamente parteiübergreifend eine stärkere Beteiligung an den Regeln und Maßnahmen der Exekutive zur Pandemiebekämpfung verlangen und selbstverständlich auch in dieser Ausnahmesituation Präsenzsitzungen abhalten, beobachte ich, dass viele Stadt-, Gemeinderäte und Kreistage zumindest in Schleswig-Holstein sich seit Beginn der 2. Ansteckungswelle im Herbst 2020 in eine Art „selbstgewählte politische Quarantäne” begeben haben. Womit sie sich ihren Aufgaben, für die sie gewählt wurden, entziehen. Dies tun sie freiwillig, denn die politischen Gremien sind auch in den jüngsten, verschärften Verordnungen ausdrücklich von den Kontaktbeschränkungen ausgenommen, sofern Sitzungen unter Einhaltung der AHA-Regeln und anderer Vorsichtsmaßnahmen abgehalten werden können.

Dabei wurde jede und jeder einzelne Repräsentant gewählt, um die Verwaltung zu beraten, sie mit Anträgen zu einem bestimmten Handeln zu veranlassen und deren Durchführung von Aufgaben zu kontrollieren. Das gilt auch und sogar ganz besonders in schweren Zeiten wie jetzt bei der Coronavirus-Pandemie; dass das nur unter Schönwetterbedingungen passieren soll, man ansonsten aber die örtliche Exekutive handeln lässt, wie es ihr gefällt, steht nirgendwo geschrieben. Die hingegen arbeitet ja weiter, denn natürlich müssen auch weiterhin Genehmigungen erteilt, Planungen vorangetrieben und Entscheidungen getroffen werden. Auch schätzt mancher Bürgermeister, mancher Verwaltungsmitarbeiter es unverhohlen, „ungestört” von der Politik arbeiten zu können.

Man muss ja volles Verständnis dafür haben, wenn einzelne Ratsmitglieder für sich persönlich die Entscheidung treffen, derzeit lieber so wenig wie möglich an Gremiensitzungen teilzunehmen. Dabei kann ihnen niemand hineinreden – schließlich geht es um ihre Gesundheit und diejenige ihrer Familienangehörigen. Aber flächendeckend die politische Arbeit in den Kommunen einzustellen, ist ein ganz anderes Kaliber. Den mit der Annahme ihrer Wahl übernommenen Pflichten gerade auch in diesem „kabbeligen Fahrwasser“ und den Erwartungen der Wähler können Mandatsträger durch diesen Totalverzicht wohl schwerlich entsprechen. Und was ich leider auch schon mehrfach erlebt habe, ist die Anmaßung, dass jemand, der für sich lieber auf eine Teilnahme verzichtet, anderen, die ihr Recht und ihre Pflicht zur Mandatsausübung in Anspruch nehmen wollen, diese ebenfalls – entweder mit moralischem Druck oder mit entsprechendem Abstimmungsverhalten – zu untersagen versucht.

Ich rede, wohlgemerkt, dem Leichtsinn nicht das Wort und nehme die aktuelle Situation keineswegs auf die leichte Schulter: Tagesordnungen lassen sich auf wesentliche Punkte konzentrieren, Sitzungsabläufe straffen und ihre Dauer verkürzen, die Fraktionen können sich auf ein Pairing (die maßstabsgetreue Verringerung der Teilnehmerzahl an Inecht-Sitzungen) verständigen, dem Informationsaustausch dienende Treffen kann man per Videokonferenz abhalten – alles sinnvolle Möglichkeiten zur Risikoreduzierung. Aber nicht nur die Mitarbeiter in den Rathäusern, auch Beschäftigte in Kitas, Arztpraxen und Gesundheitseinrichtungen, im Personen- und Güterverkehr, in Einzelhandel und vielen anderen Betrieben arbeiten ja ebenfalls weiter – trotz derselben pandemischen Situation. Und dass viele von ihnen überhaupt kein Verständnis dafür aufbringen, es auch mitnichten vorbildhaft finden, wenn ausgerechnet die Politiker sich in einen selbstverordneten Ruhemodus versetzen, weiß ich aus etlichen Gesprächen.

Bei schönem Wetter Politik zu machen ist einfach; in schwierigen Zeiten darauf zu verzichten, ist verantwortungslos. Und in einem demokratisch verfassten, gewaltengeteilten Staat ist die Mitwirkung der Gewählten systemrelevant.