Menschen und Orte

Eine Selbstverständlichkeit, ganz ohne philosophische Tiefgründelei: Wir sind Herdentiere, also bin auch ich ein Homo socialis. Von etlichen Menschen finde ich, dass meine Biographie ohne sie ganz unvollständig wäre.
Noch eine Selbstverständlichkeit: Orte weisen mitunter einen eigenen Geist (Genius loci) auf und prägen uns, einzelne ebenso wie Typen von ihnen. Und auch ohne ihre Erwähnung fehlte dieser Website etwas Wesentliches.

 

Menschen

Dies soll kein reiner Nostalgie-Abschnitt werden, ist aber doch zwangsweise überwiegend ein Rückblick auf Menschen außerhalb meiner Familie, mit denen ich intensiver zu tun hatte.

 

 

Old friends, bookends

Es ist der normale Gang der Dinge, Menschen zu begegnen, die dann eine Zeitlang eine Rolle im eigenen Leben spielen – Freunde, Freundinnen, Weggefährten –, bevor sie wieder aus dem Blickfeld geraten. Auf den einen oder die andere ist man – sieben oder 15 Jahre später, inecht oder virtuell – noch mal wieder gestoßen, wie etwa zwei Hände voll ehemaliger Schüler: Kerstin H. und Peter O., Birgit M., Ralf „Horst” Sch., Nils A., Sabine M., Susi Sch., Monika B., Jan-Peter M., Marion M., Antje K. und Sabine W. oder, weil sie es zu medialer Bekanntheit gebracht haben, den Guinness-Book-of-Records-Schiedsrichter und Rockabilly-Bassisten Olaf Kuchenbecker, die unter dem Pseudonym Svende Merian bekannt gewordene Schriftstellerin, den Verlagserben Sascha (Alexander) Falk, Radiomoderator Peter Hauner und Schauspielerin Henny (Marie) Bäumer.
Über andere stellt man sich die Frage, was wohl aus ihnen geworden ist, und bekommt darauf häufig keine Antwort. Das wird auch für viele derjenigen aus meiner ersten Lebenshälfte zutreffen, die mir beim Abfassen meiner Biographie wieder eingefallen sind. Ihnen setze ich hier gerne ein Erinnerungs-Ausrufezeichen, denn sie spielten für mich eine Rolle.

Astrid und ich waren da schon wieder weg

Hubert Z. in Frankenthal, Rainer W. in Stuttgart und Wolfgang Sp. in Wuppertal waren frühe gute Spielgefährten. Astrid aus Heckinghausen (mein erster „richtiger” Kuss, also mit nass und Zunge, im Einfahrtsportal der Bremme-Brauerei [Bild links]), Marion W. vom Klingholzberg, die – anders als die Gymnasiastinnen von der Sternstraße – nicht immer nur plaudern oder tanzen gehen wollte, und die sehr nette, aber auch sehr katholische Anke vom Sedansberg leiteten das Kind auf ganz unterschiedliche Weisen zum Jungpubertierenden über. Wirtssohn Jürgen „Spille” S. hatte immer Geld, Fluppen und noch mehr Geschichten – oder besser: Räuberpistolen – zu erzählen. Manfred W., Leiter des Hauses der Jugend neben der Ruhmeshalle, wo ich häufig kickerte und Musik hörte, nahm mich zu den Nerothern mit. Hardy K., die rechte Hälfte unseres Verteidigerpaares, lernte Kfz-Mechaniker bei Auto Brauss. Klaus-Peter B. wirkte nur äußerlich etwas versnobt.

In Hamburg war ich anfangs oft in der Dehnhaide bei Ecki und Frauke, bei Maren D. am Großensee, der ich eine intensiv-zärtliche Autofahrt im Pferdeanhänger verdanke, und bei Thea G., die mir die DDR etwas näher gebracht hat. Im Geomatikum und auf Exkursionen lernte ich Walter L., Ali K. und Biggi St. näher kennen und schätzen, in der Historikeretage des Philosophenturms v.a. Hans-Peter J. und Nelly K., mit denen ich später auch eine Examensgruppe bildete. Mit Axel St. wohnte ich ab 1973 in der Bornstraßen-WG zusammen und wir haben uns bis in die 2000er Jahre immer mal wieder getroffen, meist in Bremen, wohin er nach dem Studium zurückgekehrt ist. Piet Sch., Mathelehrer am Caspar-Voght-Gymnasium, und seine Heidi haben mich ein paarmal nach Berlin mitgenommen. Wo wohl Ulrike D., Dietmar P., Angelika T. oder Corinna E., die Mitglieder unserer WG in der Paul-Sorge-Straße, abgeblieben sind?

Jürgen in Hamwarde

Referendarszeit und erste Berufsjahre liegen ja erst vier Jahrzehnte zurück, aber auch da gibt es einige „abgerissene Fäden”, die ich bedauere. Jürgen P., der Geoffrey Chaucer und Tom Lehrer zitierte, aber trotzdem schwer in Ordnung war, ging mir irgendwann aus dem Weg, weil ich ihn mit meinem losen Mundwerk wohl mal verletzt habe. Seiner damaligen Liebsten Christiane B. hingegen begegnete ich in den 2000ern am Millerntorstadion wieder. Myriam N.-P. nahm mich vom Atlantik mit zu sich nach Auch im Département Gers, wo sie mir mehrfach Daniel Lavoies LP Nirvana bleu vorspielte; störend bloß, dass ihr Haus so verfloht war. Volker G., ein extrem sympathischer Saarländer, gründete eine Familie und zog aus der Kampstraße nahe dem Schlachthof in Hamburgs Nordnordosten. Nine H. kämpfte mit ihrem Suchtproblem. Das Stringboard von Sigrid M. nutze ich immer noch, ihr Bauernhaus in Bargenstedt aber schon lange nicht mehr. Susanne Maria („Brati”) R., nur vorder­grün­dig eine Luxusfrau, erkor aus beruflichen Gründen München zu ihrer neuen Heimat. Gerd B. war ein Hansdampf in vielen Gassen: Präsi des HSV-Fanclubs Rothosen, Lkw-Fahrer, Herrchen von Kronkorken-Alpha, Gründer der ersten Biofood-Koop in Altona-Altstadt, aktiv in unserer dortigen Mietergruppe, Aufbau eines Nica-Kaffee-Vertriebs und einer Plakatierkolonne in Ottensen. Heike H. konzentrierte sich auf die Psycho­logie. Schließlich mein langjähriger Arbeitskollege und Millerntor-Stehplatz-Nord-Nachbar Dub, der sich in seine späte Ehe zurückzog.

Manchmal webt das Leben auch wirklich denkwürdige Netze. So hatte ich 1976/77 am St. Ansgar-Gymnasium mit Bruno H. einen witzigen Kollegen des Typs Gentle Giant, ebenfalls Lehrbeauftragter. Den traf ich 1978 zufällig in Lit-et-Mixe an der Biskaya wieder, wo er zusammen mit den mir bis dahin unbekannten Jürgen P. und Christiane S. („Seelachs”) die Sommerferien verbrachte. Ein Jahrzehnt später begegnete ich Bruno gelegentlich auf ein paar Biere in Rogers Erpel an der Ecke Wohlers Allee/Thadenstraße, in dessen Nachbarschaft er mittlerweile wohnte. Ab 2003 saß plötzlich sein Sohn Paul in meinem Geschichts-Leistungskurs an der GS Blankenese, und bei dessen Abifeier 2005 traf ich dann auch Bruno erneut.

Ihnen allen geht es, hoffe ich, gut. Und außerdem habe ich jetzt bei einigen von ihnen damit angefangen, die lange Sendepause zu beenden.

 

 

Voll- und Leerkörper

Und wenn ich denn schon dabei bin, komme ich auch nicht umhin, einigen derjenigen, die mich berufsmäßig gelehrt haben und/oder zu erziehen versuchten, einen Absatz zu widmen.

Aus den frühen Schuljahren unschlagbar gut in Erinnerung geblieben ist mir Frau Bicknese, meine Wuppertaler Volksschul-Klassenlehrerin, fachliche Allrounderin und – abgesehen von Frau Stadtherr vorher in Stuttgart – einzige Lehrerin meiner Schülerzeit. Wenn nicht unbedingt gemocht, so doch respektiert habe ich zudem die Herren Jäger (Mathe), der in den Sommerferien 1963 eine Gruppe von uns im Schullandheim Sulzfluh in den Vorarlberger Alpen betreute, und Dr. Lisner (Latein, meine erste Fremdsprache). So Positives fällt mir über Erdkunde-Lubich mitnichten ein, und von meinen ersten beiden Gymnasial-Klassenlehrern Lorenz und Meyer-Willudda erinnere ich auch eher nur ihre Marotten: Weihnachtspäckchen für Annaberg im Erzgebirge der eine, Sportunterricht in Mantel und Hut („Hartfried! Vorturnen!”) der andere, der in sein aus einem mehrfach gefalteten A4-Blatt bestehendes Büchlein mit einer Kulimine, die er mit einem Tempo-Taschentuch umwickelt hatte, Noten eintrug. Nach einem Jahr war er wieder weg und an einer anderen Schule – ein sogenannter «Wanderpokal», wie ihn ein Kollege bezeichnete, und offensichtlich schwer weltkriegstraumatisiert, wofür wir Zwölfjährigen aber erst deutlich später Sensibilität entwickelten. Von meinem ersten Geschichtslehrer erinnere ich nicht mal mehr, ob er Kötter oder Köster hieß, und wann wir Herrn Hock in Sport und Herrn Weißhuhn in Zeichnen hatten, entzieht sich völlig meiner Kenntnis.

Diesterwegstr. 3, hinten links unser neuer Oberstufenbau

In der Mittelstufe wurde Günther Nagel (Bio, Chemie) zu meinem absoluten Favoriten – noch relativ jung, dabei sehr entspannt, und das nicht nur, weil er später in jeder Doppelstunde zwei Schüler losschickte, um Tubifex für die Aquarien zu beschaffen. Natürlich wusste er, dass wir die Besorgung zu einem Tässchen Kaffee bei Eduscho an der Wichlinghauser Straße nutzten. Ein anderes Kaliber war Klassenlehrer Dr. Neuhoff (Deutsch & Englisch), der zumindest mich nicht nur mit seinen klassischen Lektüren anödete (siehe auch meine Unterseite Interessen/Literatur), sondern selbst Mitte der 1960er gelegentlich noch Schüler züchtigte; sein Backenkneif-Drehgriff war wirklich unangenehm. Erheitert hat er mich ab und an aber auch, so bspw. während einer Klassenreise an den Bodensee: Christian Spenglers laut vernehmliche Nettigkeit über die Schweizer Zöllner, die unseren Bus an der Grenze kontrollierten („Das sind alles ehemalige Nazis”), und meine permanenten Hinweise auf architektonisch wertvolle Beobachtungen („Linkerhand – eine neogotische Tankstelle!”) konterte er mit der gepresst hervorgebrachten Drohung „Ich schicke euch telegraphisch nach Hause!”.

Was ich selbst nach intensivem Grübeln nicht mehr erinnere: Wer war der Vollblutpädagoge, dem ich folgendes Aha-mit Fragezeichen-Erlebnis verdanke? Wir Tertianer hatten, klassenweise reihum, in großen Pausen Putzdienst auf dem Schulhof, mussten mit langen Zangen Butterbrotpapier u.ä. vom Boden aufsammeln – eine höchst ungeliebte Beeinträchtigung unserer Zwischenfreizeiten. Und in dieser Stimmung warf mir ein Oberstufenschüler seinen Abfall auf den soeben entmüllten Quadratmeter vor meinen Füßen, garniert mit einem hämischen „Da ist noch Dreck!”. Ich nutzte die Zange, aber anders als zweckbestimmt, sondern zog ihm das Metallgerät ob dieser Dreistigkeit über die Rübe. Für seine blutende Platzwunde bekam ich eine Stunde Nachsitzen, in der ich einen Besinnungsaufsatz abzufassen hatte – mit dem denkwürdigen Titel „Warum ich anderen nicht mit der Papierzange auf den Kopf hauen darf”. Als hätte ich das nicht sowieso gewusst!

Rolf Dommer (Mitte) 1968

In der Oberstufe schließlich kamen zwei persönlich besonders gemochte Pädagogen hinzu: Rolf Dommer, ehemaliger Studenten-Boxmeister, Klassen-, Deutsch- und Sportlehrer bis zum Abi, sowie Roland Stowasser (Mathe), der fachlich für uns eigentlich viel zu gut war und später Uni-Professor in Berlin wurde. Der kriegsversehrte Dr. Weigel schätzte offenbar meine Mitarbeit in Erdkunde (notenmäßig sogar sehr) und verzieh dem vorlauten, manchmal auch frechen Jüngling so einige Bemerkungen, für die ich mich heute noch schäme. Auch mit Herrn Deckert (Musik) kam ich gut klar. Mit anderen Lehrern hingegen wurde ich menschlich nie so richtig warm: Lateinlehrer Bank, obwohl der bei uns auch mein Lieblingsfach Geschichte unterrichtete, Dr. Klemm (Philosophie), den die Tatsache unnahbar machte, dass er auch der Direx des CDG und somit fast ein Halbgott aus höheren Sphären war, den Physiker Dr. Schindler, über den unter uns das – womöglich aus nichts als heißer Luft bestehende – Gerücht ging, er habe vor 1945 in Peenemünde gearbeitet, sowie trotz seines jungen Alters Ulrich Passiepen (Englisch), der für mich auch auf unserer zweiwöchigen Abschlussfahrt in die Camargue ein unbeschriebenes Blatt blieb.

BTW: Mit der Gleichberechtigung war es seinerzeit noch nicht weit her, von einer Frauenquote sprach auch noch niemand. Wir waren schon Primaner, als die erste, zudem junge Lehrerin an unser Knabengymnasium kam – aber unsere Klasse kriegte davon nichts ab. *grummel*
Eine Lehrerin kann und muss ich aber doch noch erwähnen, die mich allerdings nicht unterrichtet hat, sondern meine Vorgesetzte war: Hildegard Meyer war Schulleiterin am Caspar-Voght-Gymnasium in Hamburg-Hamm, wo ich insgesamt vier Jahre als Lehrbeauftragter (1973-1975) und Referendar (1978/79) arbeitete, und sie begegnete mir selbst dann noch mit unverhohlener Sympathie, als mich ein Pastor bei der Behörde anschwärzte, weil eine von mir beaufsichtigte 10. Klasse im Gemeindesaal zu viel Party veranstaltet hatte. Außerdem nahm sie mich gegen die Vorwürfe eines Elternratsvorsitzenden in Schutz, dessen 13-jährige Tochter kräftig für mich schwärmte, wofür er mich in obskuren Andeutungen mitverantwortlich machte.

 

 

Freunde im gesetzten Alter

Nur Männer? Natürlich nicht; Beziehungen zu Frauen waren sogar in der Überzahl. Aber dafür gilt ausnahmsweise: Der Gentleman genießt und schweigt.

Als ziemlich beste Freunde betrachte ich meine ehemaligen Mitschüler Harald und Gerd, auch wenn die persönlichen Begegnungen über mehr als ein halbes Jahrhundert sporadisch waren und wir uns bis heute auch nicht dauernd treffen, sprechen oder schreiben. Aber wenn wir das tun, dann ist ab der ersten Sekunde ein gegenseitiges Verständnis und Vertrauen spürbar, weil man vieles über den anderen miterlebt hat, Frau, Kind und Hund kennt und nicht erst bei Adam und Eva („Was hast du denn die letzten Jahre so getrieben?”) anfangen muss.

Nach über 40 Jahren gemeinsamer Spielegruppe zähle ich auch Uwe F. hierzu. Uns verbindet das Interesse an Fußball und Musik, aber keineswegs nur dies. Das mag auch damit zusammenhängen, dass ich ja seit deren Geburt fast sowas wie der Onkel  von seinen und Heidruns Kindern bin. Zudem weisen wir einen verwandten Humor auf und sind beide etwas dröhnbüdelige Typen, was zu einer Art Konkurrenz führen könnte. Tut es aber nicht.

Im Vergleich zu diesen kenne ich Elmar L., Journalist und Fernsehproduzent, einige Jahre jünger als ich, der in Deutsch-Fernost lebt, obwohl er im Norden des tiefen Westens aufgewachsen ist, erst relativ kurz. Virtuell begegneten wir uns ab 2005 als Autorenkollegen in der Wikipedia; die dortigen Gespräche machten uns beiden Lust auf ein Inechttreffen. Das fand dann 2007 in Münster statt. Auch bei uns war es zunächst die Affinität zu Fußball und Musik, gerne in Begleitung eines frisch gezapften Bierchens, die uns einander näher brachte. Seither besuchen wir uns gelegentlich, meist in Wedel oder Beileipzsch, waren aber auch schon zusammen in Gelsenkirchen, um uns eine Bundesligapartie zwischen seinem und meinem Verein anzusehen, woran dann auch Jürgen B. beteiligt war, der für Münster noch hatte absagen müssen.
Elmar ist ein herzlicher Mensch, klug, manchmal ironisch, aber stets freundlich, offen und unglaublich altruistisch, und so ist auch seine Familie. (M)Ein Glücksfall, dass ich ihn kenne.

 

 

 

Orte

„There are places I’ll remember all my life, though some have changed.

Some forever, not for better, some have gone and some remain.

All these places had their moments with lovers and friends, I still can recall.

Some are dead and some are living. In my life I’ve loved them all.”

 

 

Stammkneipen: Das zweite Wohnzimmer

Vorweggeschickt: Säufer war ich nie, sturztrunken auch nur höchst selten. Ich wusste stets, wann ich meinen Füllstrich erreicht hatte. Aber seit ich als Obersekundaner zum ersten Mal ohne meine Eltern ein Bierchen serviert bekommen habe, entdeckte ich die Besonderheit dieser Art von Ort; das war in einer Wirtschaft am Wupperfeld, gleich nach Ende des Unterrichts, und getrunken hatte ich nur genau ein 0,2-l-Glas. Aber hinzu kam das Gespräch mit zwei, drei Mitschülern, und die andersartige Umgebung eröffnete eine neue Dimension – intensiver, persönlicher & erwachsener als beim Austausch auf dem Schulhof oder beim Wandertag. Dass ein Lokalbesuch auch neue Bekanntschaften ermöglicht, wurde schnell meine nächste Erfahrung, der ich als frischgebackener Student in Wuppertal kurzzeitig in Cally’s Snackbar beim Werth und dann hauptsächlich bei Fongi im Jazzclub Adersstraße nachging. Außerdem – das kennt die jüngere Leserin heutzutage vermutlich gar nicht mehr – durfte man seinerzeit in diesen Läden noch nach Herzenslust qualmen, und auch für den kleinen Hunger – ergänzend zu den Lungenbrötchen – war gesorgt: Frikadellen, Mettwürstkes, Soleier (mein einziges Äh-bäh), einen Erdnussautomaten, belegten Toast aus dem Minigrill oder eine kurzzeiterhitzte Ochsenschwanzsuppe gab es am Tresen. In meiner Studibude war die Kombination all dieser kommunikativen und kulinarischen Möglichkeiten deutlich eingeschränkter. Darum widme ich meinen zweiten Wohnzimmern hier ein kleines hymnisches Dankeschön. Weiter unten spendiere ich übrigens auch meinen zweiten Küchen – das sind die Pommesbuden – noch ein eigenes Kapitel.

In meinen ersten Hamburger Jahren, ab 1970, war das Hinkelstein an der Bundes­stra­ße bevorzugter Anlauf- und Ansaufpunkt; dort verbrachte ich viel Zeit mit Krökeln (Tischkickern). Etwas später kam die Hirschquelle in dem Seitensträßchen namens Durch­schnitt dazu; dessen Wirtsehepaar Jugo-Teddy und Angelika nannte mich Elvis, und in deren ziemlich starker Kneipenmannschaft spielte ich gelegentlich – nachmittags und nüchtern – richtigen Fußball mit.

1985 bei Kuddl: Zwometerfuffzich vom Eingang bis zum Tresen, Zigarettenautomat in Armweite

In Altonas Altstadt wurden ab 1982 die Chemnitzstuben von unserer angegrünten, paulinahen Mietergruppe regelmäßig mit Beschlag belegt. Deren maximal 25 m² großer Schankraum lag nur zwei Wankender-Fußgän­ger-Minuten von meinem Bett entfernt – sehr praktisch, das! Bis dahin war das reines HSV-Territorium gewesen, mit einem wunder­schönen Kevin-Keegan-Deckenfresko versehen, und ganz zu Beginn gab es da durchaus mal kurze kritische Situationen. Wir spielten zwar kein Klabberjass, allerdings konnten mehrere von uns trinkmengentechnisch durchaus mit Stauerfiezen, Gerüstbauern und Panasonic-Dieter mithalten, was auch die Lokalspezialität namens Rostiger Nagel (falsch getrunken eine brennend scharfe Flüssig-Mutprobe) einschloss, deeskalierend wirkte und uns wachsende Akzeptanz bescherte. Außerdem hatte der Wirt Kuddl Baumhauer, eine Seele von Mensch, uns in sein Herz geschlossen, so wie wir ihn. Als das Gebäude – ein Haus wie ein alter Eckzahn in einem heruntergekommenen Gebiss – 1988 erst abbrannte und bald darauf zusätzlich teileinstürzte (der Verdacht der „heißen Sanierung” durch den Hausbesitzer lag mehr als nahe), haben wir ihn gelegentlich noch in seiner neuen Eimsbüttler Pinte besucht. Ende 2020 wurde seine Ute zur Witwe. In den 1980ern war ich ansonsten häufiger auch Gast im Frank und Frei an der Schanzenstraße; den Namen hatte ich Frank Filla vorgeschlagen, als er mir ankündigte, die Eckkneipe pachten zu wollen.

Die Reste der Mietergruppe (v.a. Tina, Martin, Holger und ich) trafen sich später gerne im Schellfischposten am Fuß der Köhlbrandtreppe – jedenfalls so lange, bis durch Ina Müllers Fernsehdünnsinn aus einer der letzten authentischen Altonaer Hafenkneipen eine Promi- und Touri-Attraktion wurde. Ich besuchte ansonsten bevorzugt Erpel, Woodpecker sowie das Sansculottes (Ecke Zeiseweg/Eggerstedtstraße), die von der Holstenstraße nicht gar so weit entfernt lagen. An der Max-Brauer-Allee lag auch die Grotte, der Archetypus eines Absturz-Trinkplatzes; den liebte ich ab imo pectore. Unter dem Gewölbe mit künstlichen Stalaktiten im schummerig beleuchteten Hinterzimmer konnte auch ein Vierzigjähriger noch ziem­lich ungestört knutschen. Wobei der Zufall (oder war’s gar die Vorsehung?) es wollte, dass dessen Wirt ebenfalls Kuddl hieß.
Eigentlich waren das großenteils richtig schöne Kaschemmen, also klassische Eck­kneipen, um die Intellektuelle und Grünkernige naserümpfend einen weiten Bogen machten und die zunehmend auf die Rote Liste vom Aussterben bedrohter Kommu­nikationsorte geraten – zu meinem größten Bedauern, denn tatsächlich müssten die längst zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen.

Ab 1995 wohnte ich zwar nicht mehr in Alt-Altona, kehrte aber tresologisch immer noch dorthin zurück, dann insbesondere in Michaels Alt-Ottensen mit seiner fantastisch gefüllten Musicbox und Zum Elbblick von Kuno, dem singenden Wirt, der eigentlich Knut hieß und 2015 gestorben ist. Bei ihm haben wir häufiger Treffen der Hamburger Wikipedianer sowie – neben Brigittes Souterrainlokal auf St. Pauli – Gelage unseres FCSP-Fanclubs  abgehalten. Mit beiden Gruppen frequentierten wir auch das Anno 1905 am Holstenplatz.

In Wedel wurde zunächst das Bier- und Wein-Comptoir (BWC), dann Hohmanns aka KöPi zu meinem bevorzugten Tresen. Jochen, ein großartiger Koch mit einem gelegentlich spöttisch-ätzenden Mund­werk (ich mag sowas ja), schloss im Februar 2024 endgültig seine Pantry, und da auch Sohn Boris, ein Profizapfer mit hohem Freundlichkeitsfaktor und schnuckeliger Hündin, in einen neuen Lebensabschnitt eingetreten ist, befürchtete ich, dass sich unsere montägliche Tresenrunde von m.o.w. alten weißen Männern – die nach unserem Ausscheiden aus dem Stadtrat gegründete überparteiliche BuSchuWu-Fraktion – wohl oder übel noch­mal auf die Suche nach einem neuen Domizil begeben müsse. Der Kelch scheint an uns vorüberzugehen. Am KöPi  zeigt sich, wie wesentlich das Zusammen­spiel von Räumlichkeiten und Wirtsleuten für das Wohlfühlambiente ist.

 

 

Der Stuhlmann-Brunnen

Hamburg links unten, Altona rechts oben

Wer Altona und seine Menschen verstehen will, kommt an diesem imposanten Monument nicht vorbei. Es veranschaulicht bildhaft, weshalb nicht nur ich mich immer als Altonaer, aber nie als Hamburger verstanden habe. Zu dem Thema gibt es viele Bücher; eins mit besonders plastischer Darstellung des Verhältnisses zu den ungeliebten Nachbarn ist das 1974 erschienene «Hamburg, deine Altonaer» von A. Karl Pick.

Aber der von Paul Türpe geschaffene Stuhlmann-Brunnen zeigt das ganz ohne Worte, zumal er in einer Sichtachse mit dem schneeweißen Rathaus liegt, das in vorhamburgischer Dänenzeit ein Bahnhof war. Dargestellt wird das Ringen zweier Zentauren um einen riesigen Fisch, und man sieht bereits, dass Altona obsiegen wird. Symbolkraft pur. Tatsächlich war diese meine Stadt um 1900 Deutschlands größter Fischanlande- und -verarbeitungsplatz. Und übrigens: Auch der weltberühmte Fischmarkt, dessen Hamburg sich werbend rühmt, ist von der Lage her noch heute fest auf Altonaer Boden angesiedelt; ebenso das Volksparkstadion.

…, nachdem sie sich getraut haben, sich trauen zu lassen.

Der Brunnen – wo Altonaer küssen …

Als Rosi und ich 1993 heirateten, konnte es also nur genau einen Ort für das offizielle Foto der frisch Vermählten geben. Nämlich diesen. Es sei denn, jemand ist so pingelig, festzustellen, dass es doch ein weiteres Bild direkt vor dem rathäuslichen Standesamt gegeben habe. Wer dermaßen kleinkariert klugscheißt, kann dann aber nie & nimmer ein Altonaer sein, sondern vermutlich jemand Ortsfremdes – womöglich sogar ein bemitleidenswerter Hamburger …

 

 

 

Heimat Wuppertal

Hubert-Pfeiffer-Str. 8 und 10 – wo die Wuttkes wohnten.

Das prägendste Lebensjahrzehnt – die Jugendzeit – verbrachte ich in einer Stadt, die sicher nicht zu den lebendigsten, schönsten, originellsten, welt­ge­schicht­lich bedeutendsten Orten gehört. Eher und vielleicht nicht ganz zu Unrecht erntet man für diese Her­kunfts­angabe leisen Spott („Wollte da nicht Loriots Lottoge­win­ner Erwin Lindemann eine Herrenbutieke eröff­nen?”), die hinterhältige Frage, ob man dort auch Bill Ramseys Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe kennengelernt habe, oder mitleidige Blicke („Da ist doch mal ein Elefant aus der Schwebebahn gestürzt.”). Auf jeden Fall nicht das geringste Verständnis („Muckertal? Schnupperqual?”) dafür, dass man sowas auch noch freiwillig und gar mit Sehn­suchts­schmelz in den Augen preisgibt. Und tatsächlich bin ich 1970 ja auch weggegangen, weil ich mit 19½ das Gefühl hatte, dort ausnahmslos alle und alles zu kennen; die große, weite, spannende, richtige Welt lockte, und die schien mir überall zu sein, jedenfalls woanders.

Werléstraße: Ganz da runter und dann links ging es zur Volksschule. Und mittags zurück – nur bergauf.

Erst viel später konnte ich einschätzen, wie wichtig diese teils schmuddelige alte Industriestadt für meine Entwicklung in vielerlei Hinsicht gewesen ist. Heckinghausen und Ronsdorf, Villa Foresta und Scharpenacken, Murmelbachtal, Werléstraße und Toelleturm, Art Fabrik Hotel (ehedem die Arbeitsstätte meines Vaters) und Gasometer an der Bleiche, Werth und Widukind­straße, Bratwurst-Glöck‘l und Barmer Anlagen lasse ich nie aus, wenn ich meine frühe Heimat im 21. Jahr­hundert besuche. Vieles davon hat sich verändert, aber it’s still good vibrations. Habe ich mir deshalb 1986 meinen ersten Kobold (Staubsauger, teuer, aber gut) der Marke Vorwerk gegönnt? Wäre ich Joaquín Rodrigo, ich komponierte glatt ein Konzert über Wuppertal, mon amour.

Die Stadt war zudem mindestens im Deutschland des 20. Jahrhunderts einsam zukunftsweisend, genial und mutig, und das hinsichtlich der massenhaften Nachfrage nach öffentlichem Nahverkehr. Wo einzelne Kommunen wie Caracas und La Paz heute anfangen, die Innenstädte wenigstens punktuell durch Seil- und Gondelbahnen vom MIV zu entlasten, schuf Wuppertal sich bereits um 1900 im Tal die Schwebe- und zur Reliefüberwindung die Barmer Zahnradbahn. In den 1960ern kam der Ersatz von Straßenbahnen durch elektrische Oberleitungsbusse hinzu, die allerdings in kurvenreichen Hanglagen technisch anfällig waren. Wie oft musste der mausgesichtige Schaffner auf meinem Schulweg zum CDG seinen Sitzplatz verlassen, um die herausgehuppten Stromabnehmerstangen wieder unter die Fahrdrähte zu bringen. Schließlich hat die Stadt, als ich längst an der Elbe lebte, die stillgelegte Nordbahntrasse auf 22 Kilometern zum Fahrrad- und Skater-Schnellweg umgebaut.
Als „ÖPNV-Futuroscope” hat vermutlich noch niemand Wuppertal bezeichnet. Genau das ist sie aber.

Übrinx: Datt schpricht sich vu:pɔɾta:l, woll getz? Kinder heißen dort Bönsels oder Blagen, der Hintern Fott, trockene Backwaren dröge Müffkes bzw. Teilchen, Schuhe natürlich Schluffen, Driet oder Driss sind unessbare Würste. Betuppen bedeutet schummeln, tu mich ma die Klömkes ist eine Bitte, die Bonbontüte ’rüberzureichen – und statt mit helau grüßt man in der 5. Jahreszeit mit wuppdika. Nicht zu vergessen: Das Abschieds-tschö verknüpft meine westdeutsche Heimatstadt mit meiner norddeutschen Geburtsregion (‘tschüss), beide zusammen erklären außerdem auf’s Schlagendste, weshalb ich mich in meinem Innersten auch noch als Franzose fühle (adieu). Bin ich heutzutage im Tal, kalle (= spreche) ich nach spätestens zwei Stunden wieder voll Ostbergischen Dialekt, speziell Barmer Platt. Das auch in anderen NRW-Städten verbreitete Lied der Bruhnköppe(¹) singe ich aber schon längst nicht mehr.

(¹) «Wir sin alles Wuppertaler Jongen, wä watt will, dä soll ens kommen: Knüppel in de Hand, Flesche in de Tesch, un wenn mer keene Knüppel han, dann haun mer mit de Flesch.»

 

Steh-Schnellimbisse – Olafs zweite Küchen

Hurra, sie leben noch! Auch wenn ich zwischendurch ernsthaft befürchtete, dass sie von Türkdönerläden, US-Fast-Food-Ketten und Falafel-Verzehrstätten komplett dem Erdboden gleichgemacht würden, existieren sie 2024 weiter, wenngleich in verrin­gerter Zahl: Schnellimbisse der klassischen Art, also ganz unvegetarische Wurst-, Pommes- und Schaschlikbuden. Dabei „Buden” im wahrsten Sinne des Wortes, die meist aussehen, als würden sie gleich wegfahren, nie und nimmer eine Hygiene­kontrolle überstehen oder demnächst in sich zusammenbrechen. Seltener findet man sie als Ladengeschäft in steinernem Gebäude, aber wenn das Angebot geschmacklich ordentlich ist, ist selbst das zulässig. Seit ich ein Teeny war, sind sie ein fetter, unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens.

In Wuppertal begann diese Liebe an Barmens Altem Markt, gegenüber vom Lichtburg-Kino an der Höhne, wo eine provisorische Wurstbude ein Trümmergrundstück aus- und erfüllte. Die war mein erster kulinarischer Tempel in den 1960ern, wo ich mir oft und gerne den Magen füllte. Damals kosteten Pommes frites 50 Pfennig (mit Majo 60), die Bratwurst eine und die Currywurst 1,10 Mark. Okay, auch der erste von mir selbst bezahlte Liter Normalbenzin war für lediglich 49,9 Pfennig (das entspricht 0,25 €) und die 24er-Packung Ziesen für 2 Mark zu haben …
In meiner Studentenzeit steuerte ich in Elberfeld das auch Dekaden später noch existierende Bratwurst-Glöck’l an der Alten Freiheit und Stevos Grill in der Klotzbahn sowie in Vohwinkel – ausschließlich sonntags – einen Laden an der Gräfrather Straße (um zwei Ecken von meiner Behausung in der Lettow-Vorbeck-Straße) an.

Mein frühester Hamburger (nicht mit Hämbörgern zu verwechseln) Anziehungspunkt war der Doppelpavillon am Mönckebrunnen; dort erfreute man nicht nur meine Geschmacksnerven, sondern die Frage eines Bedienenden („Hat noch jemand einen Wurstwunsch?”) erfreute auch meinen Sinn für feinen Humor. Anders als diese Buden in der City gibt es Hans‘ Imbisswagen gegenüber dem Hasselbrook-Bahnhof schon lange nicht mehr, was mich traurig stimmt. Hans war ein echtes, freundliches Original – wenn er Wurst oder Karbonade auf den Pappteller bugsierte, kommentierte er das z.B. mit „Eigentlich wollte ich die gerade selber essen” – und sein Verkaufsstand in den 1970ern regelmäßig meine Anlaufstation. Was beileibe nicht bloß an dem unüber­seh­baren Werbeslogan „Wer Hans sien Wurst nich kennt, de hett de Tied verpennt” lag.

Ab den 1980ern ersetzte ihn der Imbisswagen auf den Wochenmärkten beiderseits des Altonaer Bahnhofs an Goethe- und Spritzenplatz, dazu, solange ich dort wohnte, Lees und Henges für mich sogar in Hausschuhen erreichbares, ganz unkoreanisches Geschäft an der Holstenstraße. Schließlich bis in die Gegenwart, wenn immer ich auf dem Weg zum Millerntor-Stadion bin, Schorschs flächenmäßig extrem winziger, geschmacklich dafür riesiger Imbiss am Neuen Pferdemarkt. Gibt es in Deutschland einen zweiten Wurstbrater, der sich seine Tomatensauce vom Deutschen Patentamt hat schützen lassen? Und womit? Mit Recht! Dies ist das unübertroffene Highlight für Currywurst und „Schorschliks”.

In und um Wedel verkauft die Bude am Eingang zu Famila die wohlschmeckendste Currypommesdoppelmajo für immerhin nur 5,60 Euro. Das ungut rotfunkelnde Fläschchen mit Feuertropfen im allerobersten Scoville-Bereich ist gratis, wird aber nur auf Nachfrage und erst nach Unterzeichnung einer Schadensersatz­anspruchs­verzichts­erklärung über den Tresen gereicht. An die schreckhaft geweiteten Augen umstehender Mit-Esser, während ich davon nicht zu geizig träufle, habe ich mich gewöhnt. Seit Andrea 2022 ihre Futterkrippe an der A23-Ausfahrt Tornesch eröffnete, kehre (nicht nur) ich auf dem Weg zur Spielegruppe auch bei ihr gerne ein.

Bevor es jemanden ob meiner Vorliebe für diese Art von vermeintlich minderwertiger Ernährung schüttelt: Das Wort „Imbiss” stammt von dem mittelhochdeutschen Verb „embīẕen”, was nicht weniger als „essend und trinkend genießen” bedeutete. Auch Haute Cuisine liegt eben meist auf der Zunge des Betrachters.

 

Kirche(n)

Am 17. Februar 1952 bespritzte mich jemand in der Kirche am Tieloh in Barmbek mit Wasser, und 1965 – diesmal in einem ähnlichen Bau an Wuppertals Oberer Sehlhof­straße – konfirmierte mich Traugott Zentz’ Vater. Mein Kirchenaustritt wurde am 11. September 1967 (my personal Nine-eleven?) zertifiziert. Viel mehr Berüh­rungs­punkte mit Glaubensgemeinschaften und anderen Karnickelzüchtervereinen hatte unsere Familie aber nie; sonntägliche Gottesdienstbesuche waren Fehlanzeige und privates religiöses Getue erinnere ich gleichfalls nicht. Zwar waren Fritz und Ingrid Kirchensteuerzahler, aber sie haben mir die völlige Freiheit gelassen, selbst zu entscheiden, ob ich Mönch oder Atheist werden will.

Mönch wurde ich nicht. Dafür aber als Mitt-Zwanziger für zwei Jahre Erdkundelehrer an einem jesuitischen Gymnasium. Fairerweise bekenne ich, dass der dortige Leitsatz „Wir fördern in allen Fächern die Erkennbarkeit der göttlichen Schöpfung hinter den naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten” mich nie in Konflikte gebracht hat; mir genügten die Naturgesetze. Und das in der Mittelstufe obligatorische Gebet vor der ersten bzw. nach der letzten Unterrichtsstunde vollzog Michael W., ein Schüler, der sofort erkannte, dass der neue Lehrer das nicht tun würde.

42 % der in Deutschland lebenden Menschen gehören keiner Religionsgemeinschaft an. Mit weitem Abstand folgen Katholiken (26 %), die diversen Evangelischen (23 %) und Moslems (geschätzt zwischen 3,5 und 5,6 %). Was die Vertreter dieser Minder­hei­ten – insbesondere der christlichen – nicht davon abhält, erfolgreich Lobbypolitik zu betreiben. 2018 führte ausgerechnet Schleswig-Holstein, in dem die Bevölkerungs­mehr­heit keinem dieser Glaubensvereine angehört, als zehnten gesetzlichen Feiertag den 31. Oktober (Reformationstag) ein, also einen siebten religiös definierten zusätz­lich zu Karfreitag, Ostermontag, Himmelfahrt, Pfingstmontag und zwei Weihnachts­tagen. Dabei hätte der Landtag gute Argumente und mehrheitliche Unterstützung gehabt, den Tag der demokratischen Verfassungsgebung auf Bundes- (23. Mai) oder Landes­ebene (13. Juni) zum Feiertag zu erheben.
Aber von der grundgesetzlich gebotenen weltanschaulichen Neutralität ist unser Staat immer noch meilenweit entfernt.

 

 

 

Nicht unter Ferner liefen

An Silvester 1978 verbrachte ich mit Volker G., seiner Schwester, Sigrid M. und noch jemandem aus unserem Hauptseminar ein paar Tage in einem Feriehuset im west­li­chen Jütland. Das war – abgesehen von einer Nacht mit Gerd H. während unserer Tramptour 1968 am Straßenrand in Rødby Færge – meine Dänemark-Premiere, die sich über die Jahrzehnte, dann meist mit Rosi und jeweiliger Hündin, zu einer lieb gewonnenen Gewohnheit entwickelte. Dreimal lag unser Ziel auch weiter im Norden, an der Jammerbugt. Wobei diese Besuche im Herzensland jedes Altonaers in den 1990ern vorübergehend abflauten, weil wir ja selbst ein entsprechendes Häuschen südlich der Grenze besaßen. Aber bis in die unmittelbare Gegenwart fand sich ganz überwiegend nahe Nordsee und Ring­købing­fjord, zwischen Nørre Nebel und Hvide Sande, dann doch wieder regelmäßig ein Domizil für eine Woche.

Zwei andere Arten von prägenden Orten – solche in Frankreich und Sportorte, vulgo Fußballstadien – erfahren ihre ausgiebige Würdigung anderenorts: Als Unterseiten meiner Interessen.

 

 

 


 

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