Die SPD ist mal Deutschlands wichtigste Partei gewesen, im 19. und 20. Jahrhundert, verknüpft mit Namen wie Lassalle, Bebel, Wehner, Brandt (allerdings auch Noske, Schmidt und Schröder). Umso trauriger, wie sie sich im 21. auf Bundes- wie auf lokaler Ebene zusehends selbst versenkt. Und das nicht nur zur Sommerszeit, nein, auch im Winter, selbst wenn es nicht schneit. Dazu tut sie das mit phänomenaler Regelmäß- und nahezu minutiöser Zuverlässigkeit, zumindest in Wedel nach den jeweils im Mai stattfindenden Kommunalwahlen:
2013 gewinnt die SPD 11 Sitze im Stadtrat und wird stärkste Fraktion. Keine sechs Monate später treten sechs dieser Mitglieder aus der Fraktion aus und gründen eine eigene. Es soll um nicht abgeführte Spenden an die Partei gegangen sein. Eine weitere Ratsfrau sagt im Frühjahr 2014 ‘tschüs und macht zunächst fraktionslos, bald danach bei den Grünen weiter. Da waren’s nur noch vier …
2018 gewinnt die SPD 9 Sitze im Stadtrat, landet nur noch knapp auf Platz zwei. Diesmal dauert es zehn Monate, dann verlassen zwei Räte die Fraktion und machen als Einzelkämpfer weiter. Eine offizielle Begründung für diese Trennung erfolgt nicht. Immerhin blieben diesmal sieben kleine Esspedelerlein übrig …
2023 gewinnt die SPD noch 7 Sitze im Stadtrat, wird nur noch drittstärkste Kraft. Vier Monate später geben der neue Fraktionsvorsitzende und sein erster Stellvertreter ihre Mandate zurück, offizieller Lesart zufolge „aus persönlichen Gründen”. Tatsächlich gehören diese beiden aber zu den beteiligten Nutznießern eines Putsches gegen die Spitzenkandidatin und potentielle Fraktionschefin. Wenige Tage später folgt ihnen noch ein dritter Neu-Ratsherr. Immerhin geht den Sozialdemokraten durch deren Rückzug kein Sitz verloren, weil Listenbewerber nachrücken. Dennoch: Dieser Alle-(5)-Jahre-wieder-Eindruck („Lasst mich raus, ihr Kinder, ’s ist so kalter Winter”) bleibt.
Mit Ausnahme des jungen Austretenden von 2018, der anfangs nach CDU klang und sich später erst bei den Freien Wählern, dann bei der AfD einschrieb: Offensichtlich waren bei keiner dieser Selbstzerlegungen ein inhaltlicher Richtungsstreit zwischen links und rechts oder grundlegende Differenzen über den Umgang mit einem der zentralen örtlichen Themen ausschlaggebend. Vielmehr bleibt der Eindruck, im Einzelfall sogar das Wissen, dass persönliche Befindlichkeiten und eine vergiftete Atmosphäre des Nicht-Miteinanders für die Gewählten wichtiger waren als das gemeinsame Parteibuch. Was besonders irritiert: Nach keiner dieser Abspaltungen herrschte Panik auf der rosa Titanic; man war sauer, man grüßte sich nicht mehr und gönnte sich auch sonst nichts, ansonsten Business as usual. Aber analytisch und personell Vorkehrungen zu treffen, damit die Zahl der kleinen Negerlein 2028 nicht weiter gen Null geht, scheint dort seit 15 Jahren nicht ernsthaft betrieben zu werden.
Es war (Vergangenheitsform) einmal Deutschlands wichtigste Partei.