Musik

Wie heißt es doch so schön: «Singe, wem Gesang gegeben». Bei mir selbst ist das bedauerlicherweise eher weniger der Fall. Meine Karriere als Front Man der Wuppertaler Beatband Intercourse £td. reduzierte sich auf ein arg überschaubares Repertoire an Liedern (The house of the rising sun, Keep on running, Midnight hour, The universal soldier), die zur schon damals wuttketypischen rostig-verrauchten Stimme passten, und endete, ehe sie richtig begonnen hatte. Denn zwar waren wir 1968 zu einem ersten öffentlichen Auftritt in der Aula meines CDG verpflichtet worden, um die eine Hälfte einer „Beat & Brecht” benannten Zeitgeist-Veranstaltung zu bestreiten. Aber als die Schulleitung nach unserem Bandnamen fragte, um ihn auf ein paar Plakate zu setzen, und wir wahrheitsgetreu antworteten, war aus die Maus. Da konnte offenbar einer der Lehrkörper Englisch, und der ließ sich auch von unserer Erklärung, Verkehr sei doch nichts Anrüchiges, nicht umstimmen. Wir übten noch eine Zeit lang im Schuppen von Udos Eltern weiter, es soll auch noch einen kleinen Auftritt gegeben haben, bei dem nicht ich, sondern Friedhelm Quambusch in’s Mikro röhrte – aber die Luft war irgendwie raus. Eine 1.000 Mark teure Philicorda bekam ich nicht, so dass Steve Winwood und Alan Price konkurrenzlos blieben. Und auch die Superhypermega-Idee unseres lebenden Maskottchens (modebewusst war er, aber „Groupie” trifft es nicht) Minimax, die Instrumentalisten sollten sich alle gleichfarbige Jacketts beschaffen, nur der Sänger ein anderes, führte nicht wirklich zu einem Band-Revival.

Schuljahr 1965/66: Gute Mucke für Halbstarke in Knebels Partykeller

Somit beschränkte sich mein ernsthaftester Ausflug in die Schönen Künste fürderhin darauf, dass ich Musikkonsument blieb (Radio Luxemburg und BFBS garantierten stete Versorgung), aus der Bravo sowie dem New Musical Express alles über erfolgreichere Musiker in mich aufsog und mindestens einmal pro Woche meine persönliche Hitparade erstellte, diese säuberlich in ein Oktavheft eintrug und am Jahresende mit allerlei statistischen Auswertungen und natürlich meiner Jahreshitparade garnierte. Diese elf leicht vergilbten Heftchen, die die Beatmusik von 1964 bis zum Jahreswechsel 1969/1970 dokumentieren, hüte ich noch heute wie meinen Augapfel.

Schon zum 14. Geburtstag hatten meine Eltern mir ein sehr handliches, freilich nicht allzu voll klingendes Transistorradio geschenkt; damals empfand ich das dennoch als einen Schatz und Ohrenschmaus. Etwas später erfreuten sie mich mit einem Koffer-Plattenspieler, dessen Deckel den Lautsprecher enthielt und worauf zunächst ausschließlich meine einzigen LPs (A Hard Day’s Night und Beatles for Sale, noch in Mono) rauf und runter dudelten; dank meines Taschengelds kamen dann bald einige Singles (Del Shannons Keep searchin’  war die erste) hinzu. Heute umfasst meine Vinyl- und CD-Schallplattensammlung fast 16.000 Songs; bis dahin war es ein langer Weg.

Während meine Eltern zuhause gelegentlich vierhändig Klassisches auf dem Klavier zum Besten gaben, war die Blockflöte das einzige Instrument, das ich zu spielen gelernt hatte; aber damit war unter Gleichaltrigen wahrlich keine Popularität zu erlangen. Immerhin hat das ermöglicht, dass ich – ein einziges Mal in meinem Leben – sogar Geld mit dem Musizieren verdienen konnte. 1969 in Paris bettelte ich gelegentlich am Fuß der Treppenanlage zum Sacré-Cœur de Montmartre, ausgerüstet mit einem Hinweisschildchen, dass ich mich en grève de la faim (im Hungerstreik) befände – hungrig war ich angesichts meines minimalistischen Budgets tatsächlich oft. Aber da mir diese Aktion eh peinlich war, traf es sich gut, dass dort auch ein britischer Straßenmusiker auftrat, der Gesang und Gitarre wirklich beherrschte. Er war so nett, sich nicht bloß von meiner Bambus-Querflöte und gelegentlichem – immerhin textsicherem – Mitsingen begleiten zu lassen (bei Donovans Colours, Peter, Paul & Marys 500 miles, Peter Sarstedts Where do you go to my lovely und ähnlichen Melodeien), sondern am Ende der Auftritte sogar seinen ziemlich gut gefüllten Hutinhalt brüderlich mit mir zu teilen. Dort versuchte ich zudem, eine Bekanntschaft zu beeindrucken, in die ich mich an der Gare Montparnasse auf den ersten Blick verschossen hatte. Marie-José schenkte ich am folgenden Tag ein Gedicht mit dem Titel Saisir le vent, das tatsächlich bloß eine Übersetzung von Donovans schwer romantischem Liebeslied (But I may as well try to) Catch the wind und somit halb geklaut war. Aber sooo doll war mein Französisch 1969 wohl noch nicht oder ich bloß ein schlichter Dichter; jedenfalls hätte ich genauso gut versuchen können, den Wind einzufangen. Lied und Leid liegen ach! so nah beieinander: „Der arme Poet” oder „Die Leiden des jungen Wuttkes”.

Concerto Corner

Heute genieße ich Musik passiv und meist in meinem Ohrensessel; schließlich hatte ich als Teenager auch den Tanzschulkursus schon vor dem Mittelball abgebrochen. Aufrechtes Mitrocken  gibt’s nur noch, wenn jemand Ollie and His Travelling Oldie Disco für Familien-, Freundes- oder Geschäftsfeiern mit nicht allzu großem Teilnehmerkreis (≤ 50-60 Piepl) engagiert. Dabei erstaunt es mich übrigens stets auf’s Neue, wie der Saal abgeht, wenn die Sounds der 50er bis 70er Jahre auf die Ohren von 17- bis 37-Jährigen treffen.(<werbespot>Ja, auch dafür kann man mich gerne buchen!</werbespot>)

In den 2000ern habe ich mir einige ausgewählte Live-Konzerte gegönnt: Khaled gleich zweimal, Eric Clapton & Steve Winwood, John Mayall, Sting, Zaz und zuletzt erneut Achim Reichel. Keinen dieser Besuche habe ich bereut, auch wenn sich – außer in der Altonaer Fabrik – die Eintrittspreise im Vergleich zu früheren Jahrzehnten teilweise versechsfacht haben.

 

Stones oder Beatles?

Es gibt diese göttliche Zeichnung von Gerhard Haderer, in der sich Altenheimbewohner über genau diese Frage streiten, die für mich aber nie eine ernsthafte war. Zwar war die Bänd um Michael Jäger auch gut anzuhören – jedenfalls bevor sie mit Sympathy for the devil wegdriftete −, aber selbst im Genre R & B fand ich die Pretty Things rauher, härter, authentischer: Hey, Mama, keep your big mouth shut!

Und die Pilzköpfe aus Liverpool waren, sind und werden auf ewig – noch vor Elvis Pressluft – unübertreffbar sein. Punkt. John, Paul, George und Ringo. Ausrufezeichen.

Das zeigte bereits die Übersicht meiner jährlichen Top Twenty dieser Zeit:

Platz Titel          1964 Interpret Platz Titel          1965 Interpret
1 I should have known better Beatles 1 Keep searchin‘ Del Shannon
2 A hard day’s night Beatles 2 My generation Who
3 She’s not there Zombies 3 Set me free, little girl Kinks
4 The house of the rising sun Animals 4 Eve of destruction Barry McGuire
5 And I love her Beatles 5 Positively 4th Street Bob Dylan
5 Rag doll Four Seasons 6 I feel fine Beatles
7 Pretty woman Roy Orbison 7 See my friends Kinks
8 Baby love Supremes 8 Like a rolling stone Bob Dylan
9 Fun fun fun Beach Boys 9 Mr. Tambourine Man Byrds
10 I get around Beach Boys 10 To whom it concerns Chris Andrews
11 If I fell Beatles 11 The price of love Everly Brothers
12 Rinky dink John Hart Band 12 Evil hearted you Yardbirds
13 Things we said today Beatles 13 Summer nights Marianne Faithfull
14 Where did our love go Supremes 14 Anyway anyhow anywhere Who
15 Skinny Minnie Tony Sheridan 15 Don’t let me be misunderstood Animals
16 Skinny Minnie Rackets 16 Yesterday man Chris Andrews
17 Doo wah diddy Manfred Mann 17 The last time Rolling Stones
18 Memphis Tennessee Johnny Rivers 18 Eight days a week Beatles
19 Needles and pins Searchers 18 Cadillac Renegades
20 Wer du bist Françoise Hardy 18 We can work it out Beatles

 

Platz Titel          1966 Interpret Platz Titel          1967 Interpret
1 Friday on my mind Easybeats 1 All you need is love Beatles
2 Sunny afternoon Kinks 2 Somebody to love Jefferson Airplane
3 Black is Black Los Bravos 3 You keep me hangin‘ on Vanilla Fudge
4 Till the end of the day Kinks 4 She’d rather be with me Turtles
5 Dead end street Kinks 5 Pretty ballerina Left Banke
6 Stop stop stop Hollies 6 The day I met Marie Cliff Richard
7 Gimme some lovin‘ Spencer Davis Group 7 Flowers in the rain Move
8 The sounds of silence Simon & Garfunkel 8 Happy together Turtles
9 All or nothing Small Faces 9 Ode to Billie Joe Bobbie Gentry
10 Homeward bound Simon & Garfunkel 10 Night of fear Move
11 When a man loves a woman Percy Sledge 11 Alternate title (Randy scouse git) Monkees
12 The pied piper Crispian St. Peters 12 Wild honey Beach Boys
13 Wild thing Troggs 13 I feel free Cream
14 With a girl like you Troggs 14 Paper sun Traffic
15 Daydream Lovin‘ Spoonful 15 Strange brew Cream
15 Summer in the city Lovin‘ Spoonful 16 Darling be home soon Lovin‘ Spoonful
17 Cherry Cherry Neil Diamond 17 Baby I love you Aretha Franklin
18 Shapes of things Yardbirds 18 I’m a man Spencer Davis Group
19 I put a spell on you Alan Price Set 19 Light my fire Doors
20 Eleanor Rigby Beatles 20 In the country Cliff Richard
21 Blue turns to grey Cliff Richard 20 New York mining disaster 1941 Bee Gees

 

Platz Titel          1968 Interpret Platz Titel          1969 Interpret
1 Mrs. Robinson Simon  & Garfunkel 1 Man of the world Fleetwood Mac
2 Nights in white satin Moody Blues 2 A salty dog Procol Harum
3 Only one woman Marbles 3 Where do you go to my lovely Peter Sarstedt
4 Hey Jude Beatles 4 Spinning wheel Blood Sweat & Tears
5 Fire Crazy World of Arthur Brown 5 Blackberry Way Move
6 Voices in the sky Moody Blues 6 Oh well Fleetwood Mac
7 Hello I love you Doors 7 Atlantis Donovan
8 Kitty Cat Stevens 8 Space oddity David Bowie
9 Fire brigade Move 9 Road to Cairo Julie Driscoll & Brian Auger Trinity
10 The dock of the bay Otis Redding 9 Albatross Fleetwood Mac
11 Hurdy Gurdy man Donovan 11 Badge Cream
12 Bend me shape me American Breed 12 Make me an island Joe Dolan
13 Hello goodbye Beatles 13 Touch me Doors
14 I can’t let Maggie go Honeybus 14 Natural born bugie Humble Pie
15 Light my fire José Feliciano 15 Wichita lineman Glen Campbell
16 I say a little prayer Aretha Franklin 16 You showed me Turtles
17 Something’s gotten hold of my heart Gene Pitney 17 Harlem Shuffle Bob&Earl
17 Tin soldier Small Faces 18 Dancing in the streets Martha Reeves & Vandellas
19 Do it again Beach Boys 19 Don’t let me down Beatles
20 Jumbo Bee Gees 20 Si tu dois partir va t’en Fairport Convention

 

Und dann ist da auch noch …

Heutzutage sind meine Musikpräferenzen viel breiter gestreut, auch der deutschsprachige Raum ist dabei vertreten; auf Achim Reichel oder Georg Danzer lasse ich nichts kommen, und auf meinem Handy begrüßt Wolle-Petry-Wahnsinn den Anrufer, der zunächst ohne mich durch die Hölle gehen darf. Die französische Sprache ist sowieso Musik; kein Wunder also, dass ich Chansons und Yéyé schon in den 1960ern mochte, 15 Jahre später den ruhiger gewordenen Johnny Hallyday, Léo Ferré, Jacques Brel, Jean Ferrat sowie Daniel Lavoie (ein Kanadier) neu entdeckte und im 21. Jahrhundert den Swing von Zaz (die ich 2022 mit Corona-Verspätung endlich live sehen und hören durfte) schätzen gelernt habe. Dann sind mir, ebenfalls deutlich später, beispielsweise Steeleye Span, Tom Lehrer (der amerikanische Georg Kreisler), George Thorogood & The Destroyers, Sting (solo), Khaled, der König des Raï, aber auch die Dropkick Murphys in die Ohren geflogen und haben sich darin dauerhaft eingenistet. Khaled ist übrigens mein Konzert-Weltmeister: Drei begeisternde Auftritte, zwei davon in der Altonaer Fabrik. Schließlich: Bretonische Musik! Sehr speziell, oft eigenartig, aber nicht nur wegen der selbst bei Rocksongs traditionellen Instrumentierung wunder-, wunderschön. Das sind Klänge, die meine Seele anfassen und dabei ein zeit- wie räumliches Fernweh erzeugen (siehe auch meine Unterseite Breizh en France).

Entsprechend umfangreich ist auch meine Plattensammlung auf Vinyl und CDs; darunter sind Unmengen von Singles und EPs, von denen ich eine große Zahl dem 1A-Fundus des Oldie Record Shop – lange Jahre an der Gärtnerstraße in Hoheluft – verdanke. Müsste ich die besten 30* LPs aller Zeiten aufzählen, ginge es mir wie dem Magazin Rolling Stone: 500 wäre einfacher. Ich versuch’s trotzdem mal, alphabetisch sortiert – und weine dabei über jedes Album, das dieser brutal willkürlichen Beschränkung zum Opfer fällt.

30 Number One Hits Elvis Presley Quinze ans d’amour Jacques Brel
30 Years of Rock – Greatest Hits George Thorogood & The Destroyers Recto verso Zaz
American III: Solitary Man Johnny Cash Renaissance Renaissance
Attention! Pretty Things Revisited Love
Beatles for Sale Beatles Revolver Beatles
Eli and the Thirteenth Confession Laura Nyro Rubber Soul Beatles
Fields of Gold. The Best 1984-1994 Sting Solitudes à deux Johnny Hallyday
Hit Collection Gene Pitney Surrealistic Pillow Jefferson Airplane
Horizons Greatest Show on Earth Sweetwater Sweetwater
Jö schau Georg Danzer The Family that Plays Together Spirit
Khaled Khaled The Hits of Nancy and Lee Nancy Sinatra & Lee Hazlewood
’kreiz da fas! Startijenn The Silver Collection Dusty Springfield
L’essentiel Tri Yann The Very Best P. J. Proby
Les grandes chansons Vol. 1 Charles Aznavour Valentyne Suite Colosseum
Living in the Past Jethro Tull Waiting for the Sun Doors
Melancholie und Sturmflut Achim Reichel Winds of Change Eric Burdon & The Animals
Nirvana Bleu Daniel Lavoie You Didn’t Have to Be so Nice Lovin’ Spoonful
Original Masters Steeleye Span You Really Got Me Kinks

* Ich weiß, 30 ist geschummelt – weil ich 20% MWSt oben draufgegeben habe.

Zusammenfassend empfehle ich jedermensch, der sich von diesen völlig unvollständigen Aufzählungen noch nicht hat abschrecken lassen, mal in meine Playlists bei Spotify – auf der Äpp oder im Wäpp – hineinzuhorchen. Dort bin ich als olaffriedrich zugange, und die Listen tragen folgende Bezeichnungen:

 

50s R&R Hard and raw R&B
60s Rare Goodies Country
Beatles RFW Hot 100 Deutschbietelz
RFW Top 50 1964 Felix Austria
RFW Top 50 1965 Sting like a bee
RFW Top 50 1966 Zeitlose OhrWürmer
RFW Top 50 1967
RFW Top 50 1968
RFW Top 50 1969
Chansons, Yéyé & Rai
Breizh & Aulde British

 

Rock ’n‘ Roll is here to stay, it will never die

Elvis, Scotty, Bill (1956)

 

Yeah, man! Und klar wie Kloßbrühe ist, dass nichts und niemand über Elvis The Pelvis (1935-1977) geht. Ihm verzeihe ich alles, von seinen Weihnachtsliedern über seichtes Gedudel bis zu seinen So-what-Kino-Schmonzetten. Seine spätere Aufgedunsenheit in merkwürdigen Bühnenklamotten. Sein Graceland. Wer mir 500 gute Songs von Hound dog, Jailhouse Rock und One night über His latest flame, Return to sender und Little sister bis U.S. male, In the ghetto und Guitar man geschenkt hat, der darf auch mal in der Kapelle weinen. Oder um zärtliche Liebe betteln. You know, the world’s a stage where each one must play his part. Außerdem konnte ich zwischen drei Titeln zum Abhotten auch immer gerne mindestens einen Klammerblues (a.k.a. Mächtig-eng-Tanz) haben.

Natürlich gibt es nur genau einen King of Rock ’n‘ Roll. Diesen König aus Tupelo, Mississippi. Den Begnadeten. Den Unsterblichen.

Live 1977

Nummer Zwei ist, ebenso unbestritten, Jerry Lee Lewis (1935-2022). Genial und tragisch zugleich: What made Milwaukee famous, made a loser out of him. Ihn auf der Bühne zu erleben – ich hatte das Glück, wenn auch noch nicht 1964 im Star Club auf St. Pauli – rettete keinen Tag, sondern ein ganzes Jahr. Whole lotta shakin’ goin’ on, Great balls of fire, High school confidential – you leave me Breathless! Die wunderbaren Charakteristika seiner Bühnenauftritte hat niemand je besser auf den Punkt gebracht als der Autor des folgend zitierten Vergleichs mit der Nummer Vier meiner R&R-Präferenzen:

Ollie, a German King of Rock ’n‘ Roll

Little Richard predigt am Klavier, Jerry Lee flucht –
Little Richards Auftritte sind Messen, Jerry Lees sind Tatorte –
Little Richards Hämmern ist inbrünstig, Jerry Lees ist aggressiv –
Little Richard brüllt und piano-basht sein Publikum an «Liebt mich!», Jerry Lee hingegen sagt «Leckt mich doch alle am Arsch!»

Dann kommt auf Rang Drei der immer etwas augenzwinkernde, verschmitzte Chuck Berry (1926-2017), kreativster und einflussreichster aller Songautoren dieser Ära, begnadeter Gitarrist außerdem. Fünf seiner Lieder hervorzuheben hieße, zwanzig andere zu verschweigen. Ich traue mich trotzdem und nenne die etwas weniger oft gecoverten Besten: La Juanda, Memphis Tennessee, School day, Nadine (Is it you?), You never can tell, Oh Baby Doll. Und es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass Chucks Duck walk auf der Bühne mir als Donaldisten bleibende Eindrücke vermittelt hat. 2023 spendierte Arte ihm mit Brown eyed handsome man eine hochverdiente Hommage – auch dieser eher mit Buddy Holly in Verbindung gebrachte Songtitel entstammt dem schier unerschöpflichen Brunnen von Berrys Kompositionsreichtum.

R & R meets Wortspiele; fehlt allerdings noch Aldi Meola

Die Nummer Vier schließlich nannte sich selbst King of Rock ’n‘ Roll, auch hat er das – spät und nicht hitparadenträchtig – sogar in einem Song in die Welt posaunt, den ich immerhin so gelungen und treffend fand, dass ich dessen Titelzeile in den 1970ern bei meinen „Radiosendungen auf Cassette” zu meinem Jingle gemacht hatte. Aber fünftbester (wenn ich mich mitzähle) König ist natürlich nicht ganz oben, und was mir bei Dir wirklich wider den Strich ging, war Dein Abdriften in religiöses Bekenner- und Missionarstum, Little Richard (1932-2020). Musste das sein? War das der Tatsache geschuldet, dass ein anderer Ex-Rock ’n‘ Roller gleichen Namens – der Brite Sir Cliff – diesen Irrweg ebenfalls beschritt? Man weiß es ja nicht …

 

 

 

Rock ’n‘ Roll für das Hirn

Es war Mitte der 1970er, als ich dieses Musikgenre auch mal mit dem Hirn und nicht nur mit den Ohren wahrnahm, mehr durch Zufall als vorsätzlich, aber dann mit echtem Erkenntnisgewinn. Ein Kollege am Caspar-Voght-Gymnasium schrieb an seiner musikwissenschaftlichen Abschlussarbeit, in der er die unterschiedlichen Stilmittel des Rock ’n‘ Roll analysierte. Er hatte mitbekommen, dass ich eine große Menge Schallplatten besaß und hörte sich diese dann stundenlang an; wir unterhielten uns dabei über das, worauf es ihm ankam, und da ich als Schüler in der Musiktheorie ziemlich gut gewesen war, legte ich ihm bald ganz gezielt Platten auf, die ihn tatsächlich weiterbrachten. Dabei ging es um unterschiedliche Versionen desselben Songs von unterschiedlichen Interpreten und betraf insbesondere die jeweilige Instrumentierung sowie deren – manchmal nur minimal voneinander abweichenden – Stile des Spielens von Gitarre, Bass und Schlagzeug. Auf sowas hatte ich vorher nie bewusst geachtet, sieht man davon ab, dass mir die Weich- und Weißspülerei des südstaatlich-afroamerikanischen Rock ’n‘ Roll beispielsweise durch Pat Boone schon immer auf den Senkel gegangen war.

Leider habe ich das schriftliche Ergebnis dieser Sessions nie zu lesen bekommen. Aber da besagter Kollege, Niels Frédéric Hoffmann, ein schon damals in Fachkreisen aufgefallener und später breit anerkannter Komponist, noch lebt: Möglicherweise bitte ich ihn doch mal um eine Kopie. Und erinnere ihn an eine rohe, grandiose Rock-Perle, bei der wir beide total auf das ungewöhnliche, mitreißende Malträtieren der Drums abfuhren: Woo Hoo von den Rock-A-Teens, 1959 deren einziger Top-20-Hit.

 

 

 

 


 

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