Sport

Es lebe der Schboat. Der is‘ geßund und mocht uns hoat.

Das Motto gilt für die körperliche ebenso wie für die geistige Ertüchtigung, und dazu rechne ich auch Spiele.‏ Mehr zu meinen Spielsüchten steht am Ende dieser Seite unter «Homo ludens».

 

Vor dem Anstoß

 

Kerwe in de Palz

Zählt ausdauerndes Karussellfahren auch zum Sport? Dann hätte ich bereits ganz früh begonnen. Wenn meine Eltern mit Kindern und Hund sonntags vom Waldspaziergang am Bismarckturm nach Frankenthal zurückfuhren, versuchten sie oft, Wege zu finden, die nicht durch einen Ort führten, in dem gerade eine kleine Kerwe – so nennt man in der Pfalz die Kirmes rsp. den Rummelplatz – stattfand. Vergebliche Liebesmüh‘, weil es zwischen Bad Dürkheim und dem Rhein in der Mitte der 50er Jahre kein Dorf gab, in dem nicht wenigstens drei, vier Buden und Fahrgeschäfte aufgebaut waren – ob in Kallstadt, Freins-, Weisen-, Lambs- oder Heßheim: I had them all. Denn mochte ich im Kabuff, dem kleinen Stauraum hinter der Rückbank unseres Brezelfenster-Käfers, auch noch so fest schlummern: Wenn die leisesten Klänge einer Drehorgel an mein Ohr drangen, hub ich meinerseits ein Bettelgeschrei an, das unerträglich gewesen sein muss. Ich pflegte erst dann Ruhe zu geben, wenn ich wenigstens drei Fahrten auf dem Kinderkarussell – wegen der Bimmelglocke bevorzugt im Führerstand der Straßenbahn – hinter mich gebracht hatte. Zehn Jahre älter geworden, fühlte ich mich immer noch von Jahrmärkten angezogen; allerdings waren es dann eher die Raupe mit Verdeck (anschaulich Amorbahn genannt) oder die elektrischen Bummsautos („Fahrpreis 25 ₰ – Einzelfahrer zahlen doppelt”), an und auf denen ich stundenlang herumlungerte. Triebkraft dafür war ein unbestimmtes und anfangs noch unerklärliches Gefühl in der Bauchgegend, das mir die vage Hoffnung auf eine Begegnung suggerierte, von der ich erst mit 13, 14 langsam ahnte, dass ich sie auf gar keinen Fall verpassen dürfe. Hätte ich den Film Und ewig lockt das Weib (mit Brigitte Bardot) gesehen, vielleicht wäre ich damals schon etwas weniger unwissend gewesen.

 

Spielbeginn

Am Anfang der Sommerferien 1957 schenkten meine Eltern mir meinen ersten Fußball, eine stramm gefüllte Plastikkugel. Mit dem stapfte ich postwendend, selig und stolz, zu einem nahegelegenen Bolzplatz, wo ich ihn in Ermangelung mitspielender Knaben wieder und wieder auf das leere Tor drosch. Mitgezählt hatte ich nicht, aber der vielleicht 47. Schuss ging voll daneben – das runde Nichtleder knallte in das Drahtgeflecht des Ballfanggitters, und ich habe noch heute das Zischgeräusch im Ohr, mit dem die Luft aus dem Ball entwich. Hin war er, mein wertvoller Schatz! Irreparabel und endgültig. Die schlappen Überreste des Spielgeräts in den Händen, schlich das kleine Häufchen Elend voll Trauer über den Verlust, Scham über meine Dummheit und Schuldbewusstsein, das Geschenk kaputtgemacht zu haben, nach Hause in Feuerbachs Wachauer Straße. Doch statt des befürchteten und in meinem Gefühl verdienten Donnerwetters – ich fand die eine oder zwei Mark, die der Ball gekostet haben mag, schrecklich viel Geld – brachte mein Vater am nächsten Tag ein neues Goldstück mit. Was hab‘ ich Pappi und Mutti dafür geliebt! Der neue Ball überstand die gesamten Ferien, weil ich mir mehr Mühe gab, ihn ausschließlich im Tornetz unterzubringen. Wohin er ja auch gehört.

Dieser blonde Buttje, der zuvor bereits einzelne Fußballspiele im Stadion am Kanal (VfR Frankenthal), dem Neckarstadion (VfB Stuttgart mit dem einarmigen Robert Schlienz) und auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn (Altona 93) verfolgt hatte, wurde Ende der 1950er für ein Jahrzehnt Stammgast im Stadion am Zoo beim Wuppertaler SV; häufig hockte ich auf der steilen Radrennbahn unterhalb der Stehränge und wedelte mit der von meiner Mutter genähten blau-roten Kleinfahne meinen lokalen Helden zu. Die hießen damals noch nicht Kevin, Silvio, Malte, Leon, Elias oder Klaus-Bärbel, sondern Günter, Horst, Vitus, Werner, Konrad, Alfred und Theo (mit Nachnamen Augustat, Szymaniak, Sauer, Tönges, Grandrath, Kratzer, Kolkenbrock). Dem WSV innig verbunden, war ich stolz wie Oskar, dass die Unterschrift von Helmut Domagalla mein Freischwimmerzeugnis zierte, der nicht nur Bademeister im Kurbad an der Friedrich-Engels-Allee, sondern auch Torwart meines Vereins war. Einmal aber saß ich sogar auf der Haupttribüne: Am 7. August 1963 beim leider 0:1 verlorenen DFB-Pokal-Halbfinale gegen den HSV! An dem Tag wurde ich frühmorgens von meinen Eltern am Bahnhof Oberbarmen abgeholt, wobei die lange Fahrt aus dem Schullandheim in Vorarlberg trotz Nachtzugs so ermüdend gewesen war, dass ich zuhause sofort ins Bett gehuppt bin und ein paar Stunden wohlig schlummerte, denn mein Vater hatte mich mit der Kunde empfangen, dass er für mich besagte Eintrittskarte ins Fußballparadies ergattert habe. Und wenige Monate später verhalf er mir noch zu einem weiteren Platz bei einer wahrlich legendären Sternstunde: Beim Europapokal der Landesmeister, als Borussia Dortmund das große Benfica Lissabon mit 5:0 abrammte, war ich im Stadion Rote Erde dabei.

Das dritte besterinnerte Spiel war wieder eines des WSV, das Endresultat (4:0 beim VfL Osnabrück) eher Nebensache. Das war bereits 1972 und ich am Tag der deutschen Einheit extra aus Hamburg angereist, um jene legendäre Elf anzufeuern, die es als erste und einzige in der Geschichte geschafft hat, sämtliche acht Partien der Bundesliga-Aufstiegsrunde zu gewinnen. Trainer Horst Buhtz′ Aufstellung kann ich auch 50 Jahre danach noch im Schlaf aufsagen: Manfred Müller − Manfred Cremer, Erich Miß, Emil Meisen, Manfred Reichert − Bernd Hermes, Herbert Stöckl, Jürgen Kohle − Gustav Jung, Günter Pröpper, Heinz-Dieter Lömm. Am selben Tag unterlag übrigens in der anderen Gruppe der FC St. Pauli, der damals noch nicht das Possessivpronomen „mein” trug, bei Rot-Weiß Essen mit 1:6 …

Selbst im Verein kicken durfte ich in den frühen 1960ern noch nicht, wenngleich das mein Herzenswunsch war; mir blieben also nur der Turnunterricht, in der Halle mit Sitzfußball, die Spiele der Klassenelf nach Unterrichtsschluss auf einem nahegelegenen Sportacker und das Freizeitgedaddel. Dazu ein sehr schnell wieder beendetes Fremdgehen zum Hallenhandball, bei der DJK Union Oberbarmen. Ob meine Mutter Angst davor hatte, dass sich ihr Sprössling beim Buffen im Verein ernsthaft verletzen konnte, oder ob sie befürchtete, ständig verdreckte Klamotten waschen zu müssen – sie war in dieser Zeit wieder berufstätig –, weiß ich nicht mehr. 1964 gründete ich mit Gleichaltrigen einen Tischfußballverein, den 1. TFC Wuppertal ’64, und fortan praktizierten wir regelmäßig Tipp-Kick, bestritten Punktkämpfe an Rhein & Ruhr und lernten dabei, dass man die Klumpfüße der Feldspieler auf unterschiedliche Weise anfeilen konnte (und musste), bspw. für Lupfer oder Gewaltschüsse. Persönlich nahm ich einmal an der Westdeutschen Einzel­meister­schaft in Bonn-Beuel teil, schied aber relativ frühzeitig aus.

Als die Wasserfreunde Wuppertal 1964 zu einer Talentsichtung in die Schwimmoper einluden, bin ich über 50 m Rücken angetreten. Und habe gewonnen. Allerdings war ich in dieser Stilart auch der einzige Teilnehmer in meiner Altersgruppe. Geblieben ist die Lust, mich im Wasser fortzubewegen – hauptsächlich in salzigem und möglichst turbulentem.

Zudem frönte ich mit 16, 17 noch dem Flippersport. Der Imbiss an der Ecke Berliner Straße/Stennert besaß einen prachtvollen Gottlieb’s, an dem ich mich nach Schul­schluss zum Pinball Wizard entwickelte, ohne der Aufforderung Invite compe­tition – it’s more fun to compete Folge zu leisten: Spaß hatte ich auch alleine.

 

Rasenplätze sind für Weichduscher!

Als ich meine Mutter 1965 endlich, endlich herumgekriegt hatte, aktiv im Verein spielen zu dürfen, begann meine Karriere in der B-Jugend des TSV Ronsdorf (genannt die Zebras aufgrund der schwarz-weiß geringelten Trikots), und das nicht mehr – wie in unserer Klassenmannschaft – in der Sturmmitte, sondern schon bald in der Abwehr. Anfangs fand ich das eher öde, aber dem lag offenbar eine zutreffende Einschätzung meiner Qualitäten durch unseren Trainer zugrunde. Der Rundlederkick war in erster Linie pure Freude am Spielen, aber ich war auch ehrgeizig; deshalb trainierte ich meinen linken Fuß, bis ich mich zu Recht als beidfüßig bezeichnen konnte, und arbeitete auch regelmäßig am Kopfballpendel, um meine Sprungkraft zu verbessern. Anders als bei heutigen Außenbahnspielern war seinerzeit die Verteidigerposition noch eine rein defensive, und ich habe meine Übungsleiter schier zu Weißglut, Heiserkeit und Verzweiflung getrieben, weil ich liebend gerne einen zweiten Linksaußen abgab. Nach dem Match verziehen sie mir diesen Eigensinn meist, denn genauso fix, wie ich nach vorne gestürmt war, war ich auch wieder zurückgeeilt, um meiner Hauptaufgabe nachzukommen. Außerdem versprach ich ihnen ja hoch und heilig, beim nächsten Spiel auf solche stürmischen Eskapaden zu verzichten. Was ich eine Woche später allerdings längst wieder vergessen hatte.

Im Verlauf dieser Saison entwickelten sich meine eigene und die Leistungskurve des Teams in entgegengesetzte Richtungen, was zur Folge hatte, dass ich zu einem größeren und spielstärkeren Verein wechselte. Zwar verfügte auch der Wuppertaler SC an der Widukindstraße lediglich über einen Grantplatz, was dem grätschenden, bissigen Terrier auf der Linksverteidigerposition etliche Narben an den Beinen ver­schafft hat. Schienbeinschützer kamen mir aus Prinzip nicht in die Stutzen. Gelegentlich wurde ich auch als mächtig unangenehmer Sonderbewacher für einen gegnerischen Spielmacher ins Mittelfeld abgeordnet oder hatte mich um einen ande­ren herausragenden Spieler zu kümmern – z. B. Rolf Rüssmann (Schwelm 06), der zum Zeitpunkt, als ich ihn beharkte, bereits einen Vertrag von Schlacke Schalke 04 bekom­men hatte. Dort trug Rolli sich mit dem Spruch „Wenn wir hier schon nicht gewinnen, treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt” in das große Buch des Fußballver­ständ­nisses ein: Auch in einer Niederlage kann noch Erfreuliches liegen.

Beim WSC gab es Flutlicht, in der A-Jugend spendierte der Verein uns Sport­ta­schen mit Klubwappen und sogar Turnhosen mit aufgeflockten Nummern; außerdem nannte er nebenan ein Vereinslokal („Zur Rotbuche”) sein eigen, in dem wir den beliebten Mannbarkeitsritus des Stiefeltrinkens praktizierten: Wer gluckst, zahlt einen neuen 3½-Liter-Glaskrug, ebenso der, der den vorletzten Schluck Gerstensafts genommen hat. Schließlich hatten wir im Alteisenhändler Wormsbach einen Team­sponsor, der uns bei Feiern freihielt und zu einzelnen Anlässen beschenkte; so kam ich zu meinem ersten (und zugleich vorletzten) Paar vergoldeter Manschettenknöpfe, die fürderhin gelegentlich mein hippyeskes Blümchenhemd veredelten.

Unscharfes Bild, scharfes Team: Jugend des Wuppertaler SC, wohl 1966/67

 

Für diese Partie hatte Trainer Wolfgang Stuhldreier aufgeboten:

(stehend) Kai Piepenbring, Stuhr?, Reese, Michael Leckebusch, Achim Flanhardt, Bernd „Tricky” Schröder

(hockend) Norbert Lohmann, Dieter Schneider, Michael Augst, Peter (Ralf?) Ladewig, Olaf Wuttke, Hardy Koch

Es fehlten: Harald Kayser, Adolf „Addy” Wormsbach, Harald Singer, Ingo Mertins, „Schmidtchen”

 

 

Gefeiert haben wir allerdings immer erst nach den Spielen, denn wir waren durchaus erfolgshungrig und auch gar nicht so schlecht. Das bescherte uns einen prominenten Fan: Ex-Nationalspieler Horst Szymaniak fand sich am Sonntag Vormittag wiederholt an der Widukindstraße ein, wenn er auf Familienbesuch in Wuppertal war. Unsere Spielstärke führte zudem dazu, dass wir nicht nur an den Kreismeisterschaften teilnahmen, sondern jeweils zu Ostern und Pfingsten zu internationalen Turnieren nach Holland – stets auf Rasenplätzen – eingeladen wurden. Bei einem dieser Turniere, 1969 in Oosterbeek vor den Toren Arnhems, passierte etwas, das möglicherweise zu einem völlig anderen Verlauf meines Lebens hätte führen können. Nach einem 1:0-Sieg über die Elf des Bournemouth and Boscombe AFC schlich ich kaputt, aber zufrieden vom Platz. Immerhin hatte ich meinen Gegenspieler, einen etwa doppelt so schnellen und doppelt so großen Rechtsaußen, am Boden wie in der Luft durchgehend in Schach gehalten und dabei nur einmal zu weniger fairen Mitteln greifen müssen, was heutzutage wohl glatt Rot bedeutet hätte, damals allerdings nur verbal mit „Niet nog eens doen!” gerüffelt wurde. Auf dem Weg zur Kabine sprach mich ein Holländer an, plauderte zunächst – in gutem Deutsch – über das Spiel und fragte mich schließlich, ob ich mir vorstellen könne, den Dress eines populären holländischen Vereins zu tragen. Ich war baff! Schließlich war ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht mal sicher, ob ich in der nächsten Saison einen Platz in der Ligaelf des WSC finden würde. Wir verabredeten, in Kontakt zu bleiben, wozu er mir seine Visitenkarte gab: „Frans de Munck – Coach – Stichting Betaald Voetbal Vitesse”. Vitesse Arnheim mit dem schwarz-gelben Doppel­adler im Wappen.

Meine Eltern unterschrieben einige Wochen später den uns zugeschickten Vertrag – volljährig wurde ich ja erst mit 21 –, und am Ende des Sommers fand ich in Arnhem ein Zimmer. Mein Traum von einer gigantischen Fußballerkarriere zerplatzte allerdings schnell. Zwar bekam ich mein Gehalt pünktlich – übermäßig üppig fiel das damals bei einem Zweitligisten nicht aus, lag aber ein bisschen höher als Stipendien nach dem BAFöG-Vorläufer Honnefer Modell – und machte die Saisonvorbereitung mit. Aber Trainer de Munck, Ex-Torwart des 1. FC Köln und meine bis dahin einzige Bezugs­per­son im Klub, war von Cor Brom abgelöst worden; nicht jeder Mitspieler war darüber begeistert, dass da ein neuer Konkurrent – noch dazu ein Mof [recht abschätzige Bezeichnung für einen Deutschen] – auftauchte. Kiffen war tabu, Hagelslag, Pinda­kaas, Hakballen met Satésaus und Oude Jenever kein gleichwertiger Ersatz dafür, ebensowenig das Erlernen einiger drastischer Schimpfwörter: Kuttekop (das gibt es auch auf Deutsch, hat etwas mit Antlitz und Gesäß zu tun) oder Zakkewasser haben immerhin meinen Wortschatz erweitert. Richtig heimisch fühlte ich mich in der Stadt nicht, zumal ich für Hilly auch nicht der Mann für’s Leben war. Dazu kamen Überle­gun­gen, wozu ich eigentlich Abitur gemacht hatte, wenn ich dann nicht auch studierte. Vielleicht hatte ich Heimweh oder war fußballerisch einfach nicht gut genug? Jedenfalls war ich schwer enttäuscht und stinkig, als mein Name bei den ersten drei Punktspielen – gegen SC Veendam, HVC Amersfoort und noch einen Klub – nicht auf dem Zettel an der Kabinentür stand. Der Vertrag wurde einvernehmlich aufgelöst, ich fuhr wieder Schwebebahn und Helmut Schön musste sich nach einem anderen Links­verteidiger umsehen. Er bekam Vogts, Höttges und Patzke. Armes Deutschland! 😉

Erst Jahre später wurde mir klar, woran es 1969 bei mir gehapert hat: Ernsthafte, kämpferische, ausschließliche Konzentration auf dieses eine Ziel. Es gab einfach zu viele andere Eindrücke, Interessen und Vorlieben, die genauso den ganzen Olaf in Beschlag nahmen und auf die zu verzichten ich nicht bereit war. So entwickelte ich mich in die Breite statt an die Spitze. Andererseits kann ich nicht ganz schlecht gewesen sein, denn nach fünf Jahren Abstinenz stand ich regelmäßig in der Mannschaft der Gaststätte Hirschquelle, und die präsentierte sich in der Betriebssportliga ziemlich stark: Etlichen Mitspielern bin ich zwar nie an Teddys Tresen begegnet, dafür tauchten ihre Namen montags in den Spielberichten aus Hamburgs Verbandsliga auf.

Immer auf Ballhöhe

Es dauerte bis unmittelbar nach der WM 1974, ehe ich wieder Lust auf eigene, regelmäßige Rundlederaktivitäten verspürte, dann allerdings in einer neuen Rolle: Victoria Hamburg suchte händeringend Schiedsrichter, und die Regeln kannte ich gut. Schließlich hatte ich sie schon als Spieler häufig eingehalten. Nach einem Jahr bekam ich ein festes Linienrichtergespann und pfoff fortan allwöchentlich Matches bis zur Landesliga, auch etliche Begegnungen im noch jungen Frauenfußball wie die Partie Fortuna 72 gegen Lorbeer Rothenburgsort. 1980 stand ich auf dem Sprung in die Oberliga, verpasste beim Leistungstest aber die vorgegebene Zeit im 800-m-Lauf um drei oder vier Sekunden. Als ich dafür trotz ausgezeichneter Bewertungen während der gesamten Saison (meist eine 11, was auch Laufleistung, -wege und Ballhöhe einschloss) nicht einmal eine zweite Chance erhielt, warf ich Büttel und Trillerpfeife kurzentschlossen hin.

 

Dem Vereinsfußball bleibe ich sicher bis zu meinem letzten Tag dennoch verbunden. Ich bin auch 2024 passives Mitglied beim FC St. Pauli und Stade de Reims. Für das Stadion am Millerntor besitze und nutze ich seit 1995 – damals noch Stehplatz Nord – eine Dauerkarte. Pauli zu Auswärtsspielen zu begleiten kam für mich hingegen selten in Frage. Immerhin war ich zweimal bei Gastauftritten in Freiburg dabei, weil ich in dieser Zeit auf Fahrradurlaub im benachbarten Elsaß war, und bin von Hünning aus zu Trainingsspielen nach Langenhorn (Nordfriesland) sowie ins südjütische Gråsten groundgehoppt. Dabei habe ich von den wenigen Partien auf fremdem Geläuf zwei in besonders guter Erinnerung behalten. Im August 2003 saß ich gemeinsam mit einigen Mitgliedern unseres Fanclubs bei einem Regionalligamatch auf der Haupttribüne des Wuppertaler Stadions am Zoo und habe mich über die 0:3-Niederlage gegen den WSV fast gar nicht geärgert – das war für mich ja sowohl Home als auch Away. Umso mehr behögte ich mich über unseren Sieg im Volksparkstadion (Bundesliga, Februar 2011), als Gerald Asamoah das Tor des Tages gegen unseren geliebten Lokalrivalen gelang. Dies erwies sich leider als Pyrrhussieg; in den folgenden zwölf Spielen holten wir nur noch ein schofles Pünktchen und stiegen ab.
2023/24 hingegen erkenne ich meine Mannschaft kaum wieder, so souverän und hochklassig tritt sie regelmäßig auf. Nach mittlerweile 19 Punktspielen immer noch unbesiegt, bezeichnen Experten und Medien diese meine Rumpelfüßler als „das Maß aller Dinge” in der von den Namen her hochkarätig besetzten zweiten Liga. Und ich reibe mir wiederholt die Augen: Is‘ das wirklich noch mein Pauli?

Simply the Best: Tatane aka Gaëtane Thiney

In jüngster Zeit kommen mehr und mehr Tribünenplätze im Ausland dazu – Hauptsache, es gibt dort Länderspiele der Bleues oder der Bleuettes zu sehen. Für die A-Nationalfrauschaft war das bei der Europameisterschaft 2017 in den Niederlanden und anlässlich von Freundschaftsspielen schon zweimal in Valenciennes der Fall; die Juniorinnen habe ich während der U-20-Weltmeisterschaft 2018 in der Bretagne verfolgt begleitet. Sowohl in Zwijndrecht (NL) als auch in Ploërmel (F) war ich sogar im Mannschaftshotel untergekommen, nahm an Pressekonferenzen teil und besaß Zugang zu den Trainingsplätzen. Was dem A-Team – und mir – auch 2023 noch fehlt, ist ein Titelgewinn!

 

Fußball ist nicht alles. Aber …

Finisher: Zwischen den beiden Ankunftszeiten liegen Welten.

Ansonsten habe ich noch im Altonaer TSV Badminton gespielt (1986-1991). Das war aber nur ein schweißtreibender und die Reaktionen schulender Freizeit-, nicht jedoch Leistungssport. Als Straßenradrenner bei St. Pauli ab der Jahrtausendwende war ich für die Mannschaft unserer Elitefahrer viel zu alt. Und ich kannte meine Grenzen: Akku leer bei 90 km, als Rouleur mit muskulösen Oberschenkeln in bergigem Gelände auch schon vorher. Also fuhr ich fleißig bei den Cyclassics (u.a. dreimal für das Team Re-Cycling der Hamburger Stadtreinigung) und bei RTFs, wo Jedermann mittun darf und man eher gegen den inneren Schweinehund als für olympischen Ruhm antritt. Außerdem feuere ich – angesichts meiner Liebe zum Land wohl verständlich – bei Le Tour und Paris – Roubaix meinen jeweiligen Favoriten lautstark vor der Glotze an.

Juventus Senile San Paolo 2002: Der Geist war willig, aber das Fleisch hatte einige Bedenken.

Schade trotz allem, dass es keinen Modernen Vierkampf (Tipp-Kick, Fuß- und Federball, Straßenradsport) gibt. Vielleicht wäre dann aus mir ja doch noch was Anständiges geworden.

Dieses Mannundfrauschaftsfoto bei einem Fanclubturnier in der Alsterdorfer Halle wird möglicherweise das letzte sein, das mich in voller Fußball-Montur zeigt (unten, 2. v. r.). Sic transit gloria mundi.

 

 

Homo ludens

Wie oben schon gesagt, war und ist mir sportliches Spielen Freude und Hirntraining zugleich. Als Kind spielt man nahezu automatisch; Fang‘ den Hut war mein erster Favorit, dann kamen die Quartette, mit Autos, Pilzen, Pin-up-Girls und wasweißichnoch. Im Erwachsenenalter veranstalteten wir Mitte der 1970er erste Spieleabende, bspw. die sonntägliche Risiko-Runde mit Maggie, Jiři, Dietmar und Angelika in der Studentenkneipe Mader beim Schlump. Falls es interessiert: Ich spielte grundsätzlich mit den rosa Schweinchen. Und Parker, der Hersteller dieses Brettspiels, übernahm einen Teil unserer Änderungsvorschläge in die nächste Auflage seiner Spielregeln.

♣♠♥♦

Ab der ersten Hälfte der 1980er wurde Feudalherren zu einer echten Manie. Erinnerst Du Dich noch an Play by Mail, auch Postspiele genannt? Komplexere Spiele, gleichzeitig gegen viele Gegner, und das nicht etwa per eMail, sondern über den beschwerlichen Weg dieser rechteckigen Papiermail mit Briefmarke drauf? Was zudem zu viel sozialer Echtlebens-Interaktion mit der Briefträgerin darüber führte, ob sie denn nicht endlich den heißersehnten Ergebnisausdruck der letzten Runde dabei habe. Eine ob ihrer Blässe (Nadeldrucker!) schwer zu entziffernde Mitteilung des Spielleiters à la „Befreundete Zwerge schenken dir eine Silbermine” made my day; die Nachricht, dass das Ritter-und-Bauern-Heer von Rozel de Lecq oder Ethelwulf (beides waren Spielernamen von mir) dem benachbarten, heimtückischen Lord Cottzbrock of Northumbria endlich die längst überfällige, hochverdiente und ultimative Abreibung erteilt hatte, führte gar zu einem dreitägigen großen Hallo! 😉

♣♠♥♦

Monika, Heidrun

Mary, Elke

Fast gleichzeitig ergriff eine unendliche Geschichte Raum in meinem Leben. Alles begann mit Monikas Kleinanzeige, dass sie Leute für ein regelmäßiges spielerisch-spielendes Daddeltreffen suche. Uwe und ich waren offenbar die einzigen, die ihr darauf keine schlüpf(e)rigen Angebote unterbreiteten. So entstand im Mai 1981 der Kern unserer äußerst stabilen Runde, zu der sich sehr zügig Elke, Heidrun und Mariechen gesellten und die bis 2021 in dieser personellen Zusammensetzung noch alive and kicking war. Man beachte zudem die mehr als erfüllte Frauenquote.

Uwe

Möglichst einmal pro Woche stehen für rund drei Stunden Brett-, Karten- und Würfelspiele auf der Tagesordnung, mittlerweile freilich kaum noch neue. Wir werden offensichtlich immer weniger jung. À propos: Nachwuchs hat unsere Gruppe – genauer gesagt: drei unserer Mitspieler – in der langen Zeit auch bekommen; aber die Hoffnung, dass Sandra, Lisa und/oder Lukas uns als Next Generation verstärken und verjüngen werden, hat sich nicht erfüllt.

Die ersten Jahre lag unser Spielstadion in Lurup, seither im Norden des Kreises Pinneberg. Olaf, der Statistikfreak, führt und aktualisiert das 1987 eingeführte und liebevoll als „Heilige Schrift” bezeichnete Zahlenwerk, ein ausführliches Konglomerat von allerlei Leistungsübersichten, basierend auf der Datenflut der allabendlichen Platzziffern. Diese dienen auch dazu, Monats-, Quartals- und Jahressieger zu küren.

Während wir es in den meisten Jahren auf 35 bis 45 Treffen gebracht haben – der Mittelwert liegt bei 39½ Spieleabenden –, reißen die durch die Covid-19-Pandemie bedingten Einschränkungen diese Statistik 2020 in den Keller. Von März bis Juni sowie im November und Dezember durften wir nicht spielen, und das, wo wir ja auch keine anderen sportlichen, kulturellen oder weitere Freizeitangebote wahrnehmen konnten. Erst im Sommer 2021 konnten wir unsere Abende wieder aufnehmen; aber zur Normalität der ersten 40 Jahre haben wir – so jedenfalls mein Eindruck – irgendwie noch nicht vollständig zurückgefunden, und seit 2022 spielen wir meist auch nur noch zu fünft.

♣♠♥♦

Ich hatte mich bereits gerne an dem Brettspiel Trivial Pursuit versucht; dafür braucht es aber Verabredungen mit anderen. Die Quizduell-App hingegen führt zwar zu sozialer Isolation – stundenweise jedenfalls –, ist aber jederzeit sofort verfügbar. Unter den Spielen sind die elektronischen halt die Nutten. Dessen ungeachtet trainiere ich seit November 2015 damit mein Gedächtnis für absolut verzichtbares Faktenwissen. Die erste Zeit habe ich wie vertiert gespielt, um mich hochzukämpfen; ab 2018 ließ dieser Ehrgeiz deutlich nach. Sieben Jahre nach Aufnahme dieses neuen Hobbys stehe ich dennoch unter den besten 1.500 Düllern, womit ich angesichts von angeblich mehr als 44 Mio. Downloads nicht unzufrieden bin. Außerdem bin ich Mitglied im Deutschen Quizverein geworden, habe 2017 sogar an der Deutschen Meisterschaft in Hannover teilgenommen, bei der ich als Newbie unter 143 Teilnehmern Rang 43 belegte. Vor allem versuche ich aber, möglichst oft bei den monatlichen regionalen DQV-Deutschland-Cup-Raterunden – mit echten Menschen – in Bad Oldesloe oder Hamburg dabei zu sein. Im Corinnavirus-Jahr Eins gelang das allerdings nur zweimal.

Madrid? Mailand? Marseille? München war’s jedenfalls nicht.

Schließlich hat mich die Quizzerei auch einem großen TV-Publikum präsentiert. Eine Woche vor meinem 66. Geburtstag setzte ich mich bei Jörg Pilawas Quizduell im Ersten gegen ein Promiteam (Matze Knop und Kim Fisher) durch; am Ende der Stunde standen 21.000 € auf der Gewinn-Uhr.

2017 gehörte ich wieder zu Pilawas Studiokandidaten, diesmal bei Der klügste Norddeutsche, kam aber nicht mehr zum Einsatz, weil andere vor mir die Sendezeit aufgebraucht hatten.

 

Quiz und Wissen

Tatsächlich benötigt man viel nutzloses Faktenwissen, um bei einem Quiz ordentlich abzuschneiden. Und das habe ich mir über die Staaten dieser Welt ebenfalls schon in früher Kindheit angelesen, aus purer Lernbegierde und dem Reiz, den alles Ferne, Fremde, Andere auf mich ausübte. Kurz vor meiner Einschulung kam mein Vater mit ein paar bedruckten Drehscheiben aus Pappe – jeweils eine pro Kontinent – nach Hause, auf denen man für jeden souveränen Staat und jedes der in den 1950ern noch sehr zahlreichen Kolonialgebiete in kleinen Fensterchen eine Handvoll Angaben ablesen konnte: Einwohnerzahl, Hauptstadt, Staatsform, höchster Berg, längster Fluss, angrenzende Meeresteile, Haupt-Exportwaren und dergleichen mehr.

Die hab ich immer wieder zur Hand genommen, bis ich irgendwann das meiste davon auswendig wusste. Ganz ohne Druck meiner Eltern, aus eigenem Antrieb heraus. Alleine der exotische Klang all dieser Ortsnamen! Drei Staaten namens Guayana, dazu ähnlich klingende wie Guinea oder Ghana? Gibt es auch einen Lauten Ozean, wo es doch einen Stillen gibt? Und dann wollte ich natürlich wissen, wo man Luang Prabang, Kuala Lumpur, Phnom Penh, Dien Bien Phu und Ulan Bator eigentlich findet; zum Glück hatte meine Schwester gerade einen Schulatlas bekommen, den ich in Dauerbeschlag nahm. Das war wohlgemerkt in einer Zeit, in der man noch keineswegs jeden noch so abseits gelegenen Flecken auf der Erde in Farbe und mit sämtlichen Sehenswürdigkeiten ins Wohnzimmer geliefert bekam. Einen Fernseher hatten wir sowieso erst ab Mitte der 1960er Jahre, und darin gab es drei Programme in Schwarz-Weiß – aber nur bis Sendeschluss und vor dem Testbild. Also blieb dem Knaben viel Raum, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Ich glaube, geschadet hat mir das Faktenwissen nicht, auch wenn es möglicherweise erheblichen Speicherplatz im Hirn einnimmt.

P.S. und kleine Quizfrage für Dich, lieber Leser: Eine von den fünf hierüber genannten Städten passt nicht zu den anderen – welche? 😉

 

♣♠♥♦

Hirntraining bieten mir aktuell zudem Sudoku und Wordle. Dabei gibt es Tage, an denen ich viel zu lange auf den kleinen Smartphone-Bildschirm starre; aber gelegentlich fällt es mir schwer, das Gerät rechtzeitig aus der Hand zu legen, denn einmal geht immer noch. Wer weiß, wie lange das anhält, denn ich kenne mich: Manch spielerische Sache betreibe ich mit tierischer Intensität – bis irgendwann, nach Jahren, das Interesse daran schlagartig gen Null geht. Weil etwas Neues den ganzen Olaf verlangt.

 

 

 


 

Dies ist eine Unterseite der Hauptseite «Interessen», die Du über das Menü im Seitenkopf aufrufen kannst.